Night World - Gefährten des Zwielichts - Smith, L: Night World - Gefährten des Zwielichts - Night World - Soulmate
Hannahs Frösteln wurde ein Flattern. Ihr Herz schwoll an vor Liebe und Sehnsucht.
Ich werde nicht so empfinden. Ich hasse dich …
Aber da flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf, eine Stimme, von der es ihr vorkam, als habe sie sie lange Zeit nicht mehr gehört. Eine Kristallstimme, sanft, aber volltönend. Fühle ihn. Fühlt er sich an wie dieser andere? Spüre ihn. Riecht er genauso, klingt er genauso …?
Hannah wusste nicht, was sie von den Worten halten sollte, und sie wollte es nicht wissen. Sie wollte nur, dass Thierry aufhörte.
Seine Finger glitten über ihre Wimpern, der Daumen strich über die zarte Haut ihrer Augenlider, als wolle er sie geschlossen halten. Dann spürte sie, dass er sich tiefer über sie beugte.
Nein, nein, nein …
Warme Lippen berührten ihre Stirn. Wieder nur eine winzige Berührung. Dann waren die Lippen fort.
»Lebe wohl, Hannah«, wisperte Thierry.
Hannah spürte, dass sie hochgehoben wurde. Sie wurde von starken, sanften Armen getragen, von jemandem, der sich schnell und geschmeidig bewegte.
Es fiel ihr schwerer als zuvor, bei Bewusstsein zu bleiben. Sie hatte das seltsame Gefühl von Frieden, von Sicherheit. Aber sie nahm alle Kraft zusammen, um die Augen ein klein wenig zu öffnen.
Sie wollte seine Hände sehen. Sie war sicher, dass die Bleistiftwunde nicht genügend Zeit gehabt hatte, um vollkommen zu verheilen.
Falls die Bleistiftwunde da war.
Aber ihre Augen wollten sich nicht öffnen – nicht bis sie spürte, dass sie auf festen Boden hinuntergelassen wurde.
Dann gelang es ihr, die schweren Lider zu heben und einen flüchtigen Blick auf seine Hände zu werfen.
Da war keine Wunde.
Dieses Wissen brannte durch sie hindurch – aber sie hatte keine Kraft mehr. Die Augen fielen ihr wieder zu. Vage und wie aus sehr weiter Ferne konnte sie das schwache Echo einer Türklingel hören.
Dann eine sanfte Stimme in ihrem Kopf. Du brauchst keine Angst mehr zu haben. Ich gehe fort – und sie tut es ebenfalls.
Geh nicht, warte. Ich muss mit dir reden. Ich muss dich fragen …
Aber sie konnte die kalte Luft um sie herum spüren, und sie wusste, dass er fort war.
Einen Moment später hörte sie, wie die Tür geöffnet wurde, dann ein neues Geräusch, als Chess’ Mutter aufkeuchte. Sie lag auf der Türschwelle der Familie Clovis. Menschen schüttelten sie, redeten mit ihr.
Hannah interessierte sich für nichts von alldem. Sie überließ sich der Dunkelheit.
Als sie vollkommen losgelassen hatte, begann sie zu träumen. Sie war Hana von den Drei Flüssen und sie sah das Ende ihres eigenen Lebens.
Sie sah die geschundene, blutüberströmte Gestalt Thierrys, der sich erhob, um seine Peiniger zu töten. Sie spürte es, als die Reihe an sie kam. Sie blickte auf und sah sein wildes Gesicht, sah das animalische Licht in seinen Augen. Sie spürte, wie ihr Leben verebbte.
Dann sah sie das Ende der Geschichte. Der Blick in den Korridor der Zeit, das Wiedererkennen ihres Seelengefährten. Die Vergebung und das Versprechen.
Und dann einfach Schatten. Aber Hannah schlief friedlich in diesen Schatten bis zum Morgen. Ohne Angst.
Das Erste, was Hannah sah, als sie aufwachte, war ein Paar leuchtend grüner Katzenaugen, die auf sie herabblickten.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Chess.
Sie lag in Chess’ Bett. Sonnenlicht fiel durchs Fenster.
»Das … kann ich noch nicht sagen«, antwortete Hannah. Zusammenhanglose Bilder schwebten durch ihren Kopf, Bilder, die irgendwie kein Ganzes ergaben.
»Wir haben dich gestern Abend gefunden«, fuhr Chess fort. »Du bist mit dem Wagen deines Dads von der Straße abgekommen, aber du hast es bis hierher geschafft, bevor du zusammengebrochen bist.«
»Oh … ja, ich erinnere mich.« Sie erinnerte sich tatsächlich; plötzlich fügten sich die Puzzleteile zusammen. Maja. Thierry. Der Angriff. Das Auto. Wieder Thierry. Und schließlich ihr Traum. Ihre eigene Stimme, die sagte: »Ich verzeihe dir.«
Und jetzt war er fort. Er war nach Hause gegangen, wo immer sein zu Hause war.
Sie war noch nie so verwirrt gewesen.
»Hannah, was ist passiert? Ist dir übel? Wir wussten gestern Abend nicht, ob wir dich ins Krankenhaus bringen sollten. Aber du hattest kein Fieber und deine Atmung schien in Ordnung zu sein – also meinte meine Mom, es wäre am besten, wenn du einfach ein Weilchen schlafen würdest.«
»Mir ist nicht übel.« Jetzt war der richtige Zeitpunkt, um Chess alles zu erzählen. Schließlich gab es einen Grund, warum sie
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