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Nightshifted

Nightshifted

Titel: Nightshifted Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassie Alexander
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ordentlich aus – oder
zumindest ordentlich rasiert –, dass ich eigentlich keine Lust hatte, diese
Illusion zu zerstören. Heute war ich diejenige, die fix und fertig aussah;
immerhin hatte ich eine aufgeschlagene Lippe, das sagte ja wohl alles. Und wenn
in meinem Leben gerade alles den Bach runterging, konnte ich ja wenigstens so
tun, als hätte mein Bruder seines wieder im Griff. Aber die Krankenschwester in
mir ließ nicht zu, dass ich die Frage nicht stellte: »Machst du immer noch deine … Experimente?«
    Er starrte verloren durch die Fensterscheibe, die mit
einer Decke aus künstlichem Weihnachtsschnee überzogen war. Da war wieder
dieser posttraumatische Blick, aber wenigstens waren seine Pupillen nicht
geweitet. »Habe ich eine Zeit lang gemacht.« Er atmete tief durch. »Aber jetzt
bin ich am Ende.«
    Er wirkte unglaublich traurig. »Steht meine Couch
noch in meiner Wohnung?«, fragte ich übertrieben scherzhaft, um ihn aus dieser
Stimmung rauszureißen.
    Â»Ich meine nicht finanziell am Ende – na ja, okay,
das auch.« Er schenkte mir einen kläglichen Blick. »Ich meine innerlich am Ende.«
    Â»Wie genau?«
    Â»Keine Ahnung. Die Synapsen in meinem Kopf. Mensch,
Edie, ich kann mich nicht mal mehr richtig betrinken. Das ist doch einfach nur
traurig, oder?«, fragte er mich vollkommen ernst.
    Â»Nicht wirklich.« Bald würde er sich einen Job suchen
müssen, in dem er sich verlieren konnte, vielleicht auch eine Freundin. Wenn
der Zauber nur weiter anhielt, wäre er bald wohl ganz normal.
    Die Kellnerin brachte unser Essen. Mollys Putensteak
mit Eiern und jeder Menge Soße war genauso gut, wie ich es in Erinnerung hatte.
»Kann ich dir was erzählen, ohne dass du mich für völlig irre hältst?«, fragte
mein Bruder plötzlich.
    Was konnte schon verrückter sein als Tod durch ein
Vampirgericht? »Klar doch, Jake«, erwiderte ich mit vollem Mund.
    Â»Ich glaube«, begann er und schaute sich verstohlen
um, bevor er sich so weit wie möglich über den Tisch beugte, »ich glaube,
irgendjemand macht so eine Art Test mit mir.«
    Mir blieben fast die Eier im Hals stecken.
Angestrengt würgte ich den Brei runter und nahm dann einen großen Schluck von
meinem Eistee. »Wirklich?«
    Er musterte mich aufmerksam. »Du hältst mich für
verrückt.«
    Ich war nicht sicher, was ich darauf antworten
sollte. Schließlich entschied ich mich dafür, meine Spuren zu verwischen. »Na
ja, du hast dir eine Menge Drogen reingezogen, Jakey.«
    Â»Im Ernst, Sissy: Wir wissen doch beide, dass das
total merkwürdig ist, oder nicht? Ich meine, nicht mal Alkohol …« Mit einem
schweren Seufzer starrte er auf seinen völlig ungepanschten Kaffee. »Nicht mal
Alkohol.«
    Â»Vielleicht ist das ja deine große Chance für einen
Neuanfang«, schlug ich vor. »Ich meine, jetzt, wo du clean bist, kannst du noch
mal ganz von vorne anfangen.«
    Â»Ich bin achtundzwanzig, Sissy.«
    Â»Na und? Für einen Neuanfang ist es nie zu spät.« Ich
versuchte, das so zu sagen, als würde ich es auch glauben.
    Â»Bist in letzter Zeit wohl an zu vielen Kirchen
vorbeigekommen, wie?«
    Wäre es so gewesen, hätten die Sprüche auf den
Schildern wohl eher eine etwas apokalyptischere Richtung eingeschlagen. Womit
sie recht gehabt hätten – das Ende war verdammt nah. Um mir etwas Zeit zum
Nachdenken zu verschaffen, schob ich ein Stück Steak durch die Soßenlache auf
meinem Teller. »Ich will doch nur, dass du glücklich bist, Jake.«
    Â»Auf Droge war ich glücklich. Solange ich auf Heroin
war, gab es keinen einzigen schlimmen Moment für mich. Manche Leute sehen
verrücktes Zeug und reden mit Gott. Auf Heroin war ich Gott. Das lässt
sich nur schwer toppen.«
    Â»Ha, ha.« Ich studierte sein Gesicht, die gesenkten
Lider und die vollen, aber fest zusammengekniffenen Lippen. Gut aussehend, aber
todtraurig. Für einen Moment wurde ich wütend – ich hatte ihm diese zweite
Chance verschafft, die mich vielleicht meine Seele gekostet hatte, und wofür?
Aber ich konnte Jake nie lange böse sein. Er war doch mein Bruder.
    Â»Was glaubst du denn, wer Experimente mit dir machen
würde?«, fragte ich ihn so neutral wie möglich.
    Â»Was interessiert es dich?«, erwiderte er
achselzuckend. Ich wartete, bis die Kellnerin ihm Kaffee nachgeschenkt

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