Nightshifted
wussten sie wohl, dass
deine Vampirfreundin, auf die sie hier gewartet haben, nicht alleine und
tagsüber hierherkommen konnte.«
»Wir wurden allerdings von zehn Vampiren angegriffen.
Hier oben hätten keine zehn Platz gehabt.«
Ti schritt die schmale Fläche ab. »Dann hat einer die
anderen herbeigerufen.«
»Ja.« Während Anna und ich da drin lauthals
gestritten hatten, hätten sie genug Zeit dazu gehabt. Eigentlich konnte ich mir
nicht vorstellen, dass es einem von ihnen gelungen sein sollte, hier drauÃen so
leise zu sein; es fühlte sich an, als wäre die Feuerleiter bei jeder unserer
Bewegungen kurz davor, sich aus ihrer Verankerung an der Wand zu lösen und
zusammenzubrechen. Aber Anna war so aufgewühlt gewesen. Was wiederum seltsam
war, wenn man bedachte, dass sie ein Vampir war.
Von unten drang lautes Gebell zu uns herauf. Jenny
und Jack rannten sofort die Leiter hinunter, dicht gefolgt von Madigan. Ti und
ich machten uns ebenfalls an den Abstieg, wobei die windige Konstruktion mit
jedem Schritt instabiler zu werden schien. In diesem Moment fiel mir auch
wieder ein, dass ich Höhen sowieso nicht besonders mochte, erst recht nicht in
Kombination mit hoher Geschwindigkeit â und dann wurde ich von drei Tagen
Arbeit und Angst eingeholt. In meinem Augenwinkel blitzte etwas kleines
Schwarzes auf, was mich abrupt mitten auf der Treppe anhalten lieÃ.
»Alles okay?« Ti packte mich am Arm, als ich fast
vornüberfiel.
»Mir gehtâs gut.« Eine Sekunde lang stand ich still
da und blinzelte hektisch. Es musste eine Rostflocke gewesen sein â oder
Vampirasche. Ich rieb mir das Auge, ging dann aber langsamer weiter. Ti blieb
dicht an meiner Seite.
Als wir die Gasse verlieÃen, schob Ti eine Hand unter
meinen Ellbogen, um mich zu stützen. Ich blinzelte immer noch, aber der graue
Fleck verschwand einfach nicht. Madigan stand mit seinen drei Hunden bei seinem
Pick-up und hatte einen genervten Teenager an der Schulter gepackt. Er war
genauso gekleidet wie die Gangster, die immer im Hintergrund auf den
Album-Covers von Nyjara herumgeistern: bauschiger schwarzer Ledermantel,
schwarze Hose, weiÃe Lederschuhe. Aber irgendwie wirkte er nicht wütend genug,
um den Look überzeugend rüberzubringen. Noch nicht â¦
»Ich wollte nur Ihren Hund streicheln, Mann!«,
protestierte der Teenager gerade und löste sich ruckartig aus Madigans Griff.
»Und dabei auch noch meine Reifen klauen?«
Der Teenager fluchte leise. »Glauben Sie wirklich,
Sie hätten was, was sich zu stehlen lohnt?«
Ich fummelte immer noch an meinem Auge herum, da der
schwarze Fleck nicht verschwunden war. Ich hatte doch nicht gerade einen Schlaganfall
gehabt, oder? Prüfend streckte ich die Arme aus und konnte beide gerade und
ohne das geringste Zittern vor mir sehen.
»Edie?«, fragte Ti besorgt.
»Mein Gesicht sieht doch noch aus wie immer, oder?
Ohne irgendwelche hängenden Teile?« Ich streckte die Zunge raus und fragte
mich, ob sie noch gerade war. Dann hielt ich mir eine Hand vors Gesicht.
Zuerst deckte ich das schlimme Auge ab und blickte
mit dem guten Auge auf Ti, der mich eindringlich beobachtete. Er war eindeutig
besorgt. Dann hielt ich mir das gute Auge zu und starrte ihn mit dem schlechten
an ⦠und sah ein Glühen. Wie wenn man sich zu heftig das Auge reibt und danach
diese Lichtpunkte und Schlieren auftauchen. Aber ich rieb das Auge jetzt gar
nicht, und trotzdem blieben die Lichter sichtbar. Hatte ich mir etwa irgendwie
ein spontanes Glaukom eingefangen?
»Pass mal auf, du kannst nicht einfach fremde Hunde
streicheln. Du hast Glück gehabt, dass er dich nicht gebissen hat«, fuhr
Madigan fort.
»Er hat doch mit dem Schwanz gewedelt, schien echt
freundlich zu sein«, wehrte sich der Teenie. Ich konnte hören, wie Jimmies
Schwanz innen gegen die Ladefläche klopfte. Seine Wachhundattitüde war offenbar
nur Schein gewesen, und dann war dieser Junge vorbeigekommen, und er ⦠ich
schaute den Jungen direkt an und kniff ein Auge zu.
»Edie?«, fragte Ti wieder.
Jetzt konnte ich ein sanftes Leuchten sehen, das â¦
Jimmies Kopf umgab. Aber der Kopf blieb nicht so, wie er war, sondern
verschwamm immer wieder und wechselte zwischen der Pitbull-Mischung mit dem
kräftigen Kiefer und dem engelhaften Gesicht eines kleinen Jungen hin und her,
der ungefähr sechs Jahre alt zu sein schien. Und der Teenager
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