Nightside 9 - Wieder einmal Weltenbrand
aus.
Ich konzentrierte mich auf das Gesicht des Wanderers. Da war etwas Schelmisches, fast schon Teuflisches in seinem spöttischen Blick und dem offenen Lächeln. Er war ganz anders, als ich es erwartet hatte. Er war weit komplizierter und darum auch weit gefährlicher.
„Ich kann nicht zulassen, dass du da einfach hineinmarschierst und jeden umlegst“, sagte ich geradeheraus. „Das hier ist anders als Kostbare Erinnerungen , wo jeder schuldig war. Es gibt ein paar echt miese Typen im Knabenclub, aber nicht jeder ist schlecht genug, dass er den Tod verdient hätte.“
„Das ist meine Entscheidung, nicht deine“, widersprach der Wanderer. „Das hier ist nun einmal, was ich tue, und ihr seid nur geduldet.“
„Ich kenne die Nightside besser, als es dir jemals möglich sein wird“, meinte ich.
„Du stehst dem Ganzen hier zu nahe“, erklärte der Wanderer freundlich. „Du hast keine professionelle Distanz mehr. Ihr braucht mich, damit ich das vollbringe, was du niemals hast tun können.“
„Ich werde dich aufhalten, wenn ich muss“, sagte ich.
Er lächelte mich strahlend an und warf mir einen vergnügten Blick zu – Profis unter sich. „Du bist herzlich eingeladen, es zu versuchen – und jetzt möge der Spaß beginnen!“
Wir gingen einfach hinein. Der Türsteher gab in der Gosse gerade leise, klagende Stöhnlaute von sich und war eindeutig nicht in der Verfassung, uns nach unseren Mitgliedsausweisen zu fragen. (Zumindest hatte der Wanderer den Türsteher nicht sofort getötet. Ich redete mir ein, das sei ein gutes Zeichen.) Die Tür schwang von allein auf. Allerdings wartete eine ziemlich beeindruckende Anzahl äußerst großer und extrem kompetent wirkender Sicherheitsleute, deren muskelbepackte Körper schier aus ihren Anzügen quollen, im Foyer auf uns. Der Wanderer schlenderte in das Gebäude, als gehöre ihm der Club, und nickte den Wachen kurz zu. Diese erwiderten das Nicken – offenbar reagierten sie automatisch auf arrogante Autorität, bevor sie sich wieder fingen und rasch herbeieilten, um uns den Weg zu versperren. Der Wanderer hielt inne und musterte sie von Kopf bis Fuß, wobei er mehr als offensichtlich spöttisch grinste.
Ich sah mich im Foyer um. Man hatte den Raum renoviert, seit ich das letzte Mal hier gewesen war, aber hier war immer noch alles genau so groß und protzig und übertrieben wie immer – wie die meisten Clubmitglieder. Chandra und ich stellten uns links und rechts des Wanderers auf, und mehrere Sicherheitsleute wurden leicht nervös, als sie mich erkannten. Vielleicht, weil mein letzter Besuch der Grund für die neue Einrichtung der Eingangshalle war. Aber wie auch immer, trotz der noblen Anzüge waren es noch immer Schläger mit Kanonen, und ich hatte mein ganzes Leben Haken um Neandertaler wie diese geschlagen.
Der dienstälteste Schläger trat vor und fixierte mich mit seinem besten achtunggebietenden Funkeln. „Sie wissen, Sie haben hier keinen Zutritt, Mr. Taylor. Sie würden die netten Herren und deren Damen nur unnötig aufregen. Sie haben Clubverbot und das gilt auch für Ihre Freunde, wer immer sie auch sein mögen.“
„Ich bin Chandra Singh, heiliger Krieger und mächtiger Monsterjäger!“, sagte Chandra, der langsam wirklich stinkig wurde, weil ihn in der Nightside niemand kannte. „Ich muss mir einen besseren Agenten zulegen.“
„Ich bin der Wanderer“, lächelte der Wanderer. „Ich bin gekommen, um eure Seelen zu richten.“
Die Sicherheitsleute wurden sehr blass. Mehrere begannen zu schwitzen, ein paar mehr zu zittern, und einer winselte sogar. All ihre Aufmerksamkeit war auf den Wanderer gerichtet. Chandra und ich hätten ebenso gut Luft sein können. Es schien, als hätte die Kunde, was mit Kostbare Erinnerungen passiert war, schon den Knabenclub erreicht. Nichts verbreitet sich schneller als schlechte Neuigkeiten, besonders in der Nightside. Der leitende Schläger schluckte hörbar.
„Ich denke, wir würden jetzt wirklich gerne einfach davonlaufen, Sir, falls Ihnen das nicht zu viele Unannehmlichkeiten bereitet.“
„Geht nur“, sagte der Wanderer mit einer großzügigen Geste. „Ich kann euch später immer noch finden, wenn es nötig sein sollte.“
Die Leibwächter verschwanden, aber sie gingen nicht einfach – sie rasten davon, als sei ihnen der Leibhaftige auf den Fersen, und rauften tatsächlich miteinander, um auch ja als Erster an der Tür zu sein. Ich hatte noch nie so einen Effekt auf Leute gehabt, nicht einmal zu
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