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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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Polizeiauto, und neben dem Polizeiauto zwei Polizisten und Nilowsky. Er hatte die Arme vor den Oberkörper gepresst, trotzdem zitterte er so heftig, dass ich es sogar von meinem Fenster aus sehen konnte.
    Kurz darauf kamen zwei Männer mit einer Trage aus der Kneipe. Auf der Trage lag eine lange, dürre Gestalt, zugedeckt bis über den Kopf. Die Männer schoben die Trage in den Wagen und fuhren davon. Die Polizisten schauten dem Wagen nach. Der eine sagte: »Dit is doch keene Pietät, wenn ’n Leichenwagen so laut is wie ’n Presslufthammer.« Und der andere erwiderte: »Wenn die ’n Motor abgestellt hätten, wär er nich wieder angesprungen. Hätten wir noch ’n Abschleppdienst holen müssen für die Leiche.«
    Die Polizisten verabschiedeten sich mit Handschlag von Nilowsky und fuhren ebenfalls davon. Ich schloss das Fenster und legte mich wieder ins Bett. Doch schlafen konnte ich in dieser Nacht nicht mehr. Ich dachte daran, wie wir den Vater aufs Bett gehievt hatten und Nilowskyihm die Bettdecke über den Kopf geworfen und gesagt hatte: »Könnte ihn umbringen, jetzt könnte ich das, wieder mal … Aber würde schnell gehen, zu schnell würde das gehen, das Totsein, das wäre ja keine Qual für ihn … hat er nicht verdient.« Ich musste davon ausgehen, dass Reiner Nilowsky, lange geplant und herbeigesehnt, seinen Vater auf qualvollste Weise umgebracht hatte.
    Am nächsten Tag war die Kneipe geschlossen. Nilowsky war fort. Arbeiter aus dem Chemiewerk und andere Neugierige versammelten sich vor der Tür und diskutierten. Ich gesellte mich dazu, möglichst unauffällig, wurde aber von einem der Skatspieler sofort angesprochen: »Weeßt du vielleicht, wo der Sohn abjeblieben is? Warst doch janz dicke mit dem.«
    »Nein«, antwortete ich, »würde ich auch gern wissen.«
    Die Diskussion widmete sich der Frage, wie es nun mit der Kneipe weiterginge. Wäre ja absolut schade, wenn die geschlossen bliebe. Dass sich Nilowskys Vater schlicht und einfach tot gesoffen habe, darüber bestand kein Zweifel. »Er hat’s ja im Prinzip so jewollt«, sagte ein Mann, der drei Häuser weiter wohnte und täglich seinen Hund ausführte. Und ein anderer: »Is ja ooch immer dürrer jeworden. War ja fast nur noch flüssig vor lauter Bier und Schnaps.« Eine kleine, krumme Frau, die mindestens achtzig war, sagte: »Da wächst keene Blume uff dem sein Grab bei so viel Alkohol. Hauptsache, ick liege später mal nich bei dem im Nachbargrab. Krieg ick ja noch ’ne Alkoholvergiftung.«
    Vielleicht, dachte ich, ist Nilowsky bei den Mozambiquanern in der Holzbaracke. Ich fragte mich, wie er mir gegenübertreten würde. Mir, seinem Freund, fallsich denn wirklich sein Freund war. Ich ging durch die Bahndammunterführung und schließlich durch den Wald auf dem Trampelpfad am Chemiewerk entlang. Zehn Meter vor dem Eingang zur Baracke blieb ich stehen. Die Fenster waren erleuchtet, aber mit Vorhängen zugezogen. Ein leichter Ingwerknoblauchgeruch umgab das Haus, wie in Erinnerung an ein vergangenes Fest.
    Nach einer Weile trat Roberto aus der Tür und kam mit einem Lächeln auf mich zu. Er hatte wohl damit gerechnet, dass ich hier auftauchte. Oder von der Baracke aus wurde grundsätzlich beobachtet, was um sie herum geschah.
    »Ich hab Brief für dich. Von Reiner.« Er reichte mir einen verschlossenen Briefumschlag, auf dem kein Wort stand. »Du sollst lesen. Alles steht drin.«
    Ich nahm den Brief. Roberto nickte mir aufmunternd zu, dann ging er zurück. Ich betrachtete den Briefumschlag und entschied mich, ihn einzustecken und erst zu Hause in meinem Zimmer zu öffnen.
    Bin bei meiner Oma. Muss ihr helfen. Alleine schafft sie es nicht. Komm am Sonntag. Keinen Tag eher. Sonntagnachmittag. Drei Uhr. Hier der Weg: Nicht durch die Bahndammunterführung. In die andere Richtung. Die Straße immer weiter. Bis zur Altstadt. Dort, am Goldenen Krug , links in die Seitenstraße. Das dritte Haus links. Der Name: Serrini. Da klingelst Du. Und nun das Wichtigste: Sobald Du den Brief gelesen hast, zerreißt Du ihn. In viele kleine Stücke. Wirfst ihn weg. Nicht in Deinen Papierkorb. Oder in den Mülleimer bei Euch zu Hause. Nein, Du wirfst ihn ins Klo. Spülst ihn runter. Gehe sicher, dass alles weg ist.
    Ich las den Text mehrmals, bis ich die Wegbeschreibung auswendig kannte. Dieser telegrammartige Stil und die akribischen Druckbuchstaben beeindruckten mich. Am liebsten hätte ich den Zettel aufgehoben. Aber natürlich folgte ich Nilowskys Anweisung und

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