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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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die Haare meiner Mutter im gelblich matten Licht, das von den Fenstern der Baracke kam. Und ich sah Roberto. Er musste ganz dicht vor meiner Mutter stehen. Ich sah seine rechte Hand, die offenkundig und sehr behutsam die Haartracht berührte; und dann sah ich ihn mit einer Bewegung seines Kopfes, die unmissverständlich darauf hindeutete, dass er meine Mutter küsste. Unglaublich! Vor einigen Wochen hatte ich meine Eltern noch wie frisch verliebt erlebt. Ich konnte mir nicht erklären, was geschehen war.
    »Na, du Spanner.« Ich zuckte heftig zusammen. Hinter mir stand Nilowsky. Er hatte eine Taschenlampe in der Hand, die er einschaltete und mir ins Gesicht hielt. »Auch deine Mutter scheint auf Negerschwänze zu stehen, scheint sie, was?«
    Es hatte wohl amüsiert klingen sollen, aber es klang verbittert. Er schaltete die Taschenlampe aus. Kam sehr dicht an mich heran. Flüsterte. Und das Flüstern machte seine Stimme nur umso drohender. »Was hast du Carola erzählt? Oder hast du ihr nur schöne Augen gemacht? Was hast du ihr erzählt?«
    »Nichts«, entgegnete ich. »Nichts hab ich.«
    »Dass ich mir einen runterhole, wenn ich mir vorstelle, dass ihr ein Kirschbaum aus ’m Hintern wächst? Dass ich mir bei dieser Vorstellung einen runterhole? Jetzt staunst du, was, staunst du, oder? Mach ich nämlich, mir einen runterholen, wenn ich mir vorstelle, dass aus Carolas Hintern ein Kirschbaum wächst. Wenn du nicht so schreckhaft wärst, würde ich dich meinen Schwanz anfassen lassen. Dann würdest du merken,was da los ist. Nur wenn ich dran denke, geht das schon los. Könnte mir schon wieder einen runterholen, könnte ich, so steif ist er, nur weil ich mir vorstelle, wie es aussieht, wenn aus ihrem Hintern ein Kirschbaum wächst.«
    »Ich glaube«, sagte ich, und meine Stimme zitterte, »ich meine, ich habe den Eindruck, habe ich, Carola will nichts von Männern.«
    »Von dir!«, schrie Nilowsky mich an, »von dir will sie nichts. Den Eindruck solltest du mal haben.«
    Ich wich vor ihm zurück, fast wäre ich gestürzt. Zugleich schaute ich zu dem Baum, hinter dem ich Roberto und meine Mutter vermutete. Ich hoffte, dass sie uns weder gesehen noch gehört hatten, obwohl ich mir das kaum vorstellen konnte, so laut wie Nilowsky mich angeschrien hatte. Aber die beiden waren nicht mehr da. Möglicherweise war meine Mutter in der Baracke und sah mich von dort aus.
    Egal, dachte ich. Das sollte mir egal sein. Ich wollte gegen meine Angst ankämpfen. »Carola«, sagte ich, »die spielt nur mit Männern. Die kann vielleicht gar nicht anders. Das ist, weil sie selber so viele Probleme hat, deshalb …«
    »Du hast ja eine Logik«, unterbrach mich Nilowsky, nun wieder ruhiger. »Da ist ja Carolas Logik gar nichts gegen.« Er ging in Richtung Bahndamm und befahl: »Komm mit!«
    Ich folgte ihm, froh, wenigstens aus diesem Waldstück wegzukommen. Und auch froh, dass er mich unterbrochen hatte. Denn sonst hätte ich wahrscheinlich noch Carolas Geheimnis verraten.
    Wir liefen die Böschung hinauf. Als wir an den Gleisenwaren, schaute er zum Bahndamm-Eck , und ich sah ebenfalls dorthin. Er sagte kein Wort über die Kneipe oder über seinen Vater, er verlor auch kein Wort mehr über mich und Carola. Er sagte nur: »Ich will einen Vertrauensbeweis. Etwas, das uns beide verbindet. Auf immer und ewig. So etwas will ich.«
    »Was soll ich machen?«, fragte ich.
    »Ganz einfach. Du sollst mit deiner Zunge die Schiene berühren, sollst du.«
    »Aber wir haben Minusgrade. Die friert doch an!«
    »Dir passiert nichts. Oder vertraust du mir nicht?«
    Der Wind blies derart kalt über die Gleise, dass ich das Gefühl hatte, die Spucke würde gefrieren, sobald ich meine Zunge nur herausstreckte.
    »Na los. Bringen wir’s hinter uns. Los, mach. Los!«
    Diese Mischung aus Bitte und Befehl kannte ich. Mit der hatte mich sein Vater gefragt, ob ich ihm in der Kneipe helfe. Von der hatte ich gedacht, sie wäre unnachahmlich. Nun war ich verblüfft über diese Ähnlichkeit. Ich ging auf die Knie und berührte, ohne weiter nachzudenken, mit meiner Zunge die Schiene. In Sekundenschnelle wurde sie taub und fror an.
    »Jetzt musst du«, sagte Nilowsky, »deine Körperwärme, die musst du jetzt zum Einsatz bringen. Groß werden muss die, immer größer, und hundertprozentig wollen musst du das, dass die groß wird und deine Zunge warm macht.«
    Ich war überzeugt davon, dass er es ernst meinte und davon ausging, dass ich es schaffen würde, wenn ich es nur

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