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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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miesen Karma ist er dazu verurteilt, eine Reinkarnation nach der anderen durchzumachen, bis es irgendwann weg ist, das miese Verräterkarma.«
    Wir gingen weiter, und ich war höchst erstaunt, wie abfällig Nilowsky über Roberto sprach.
    »Weißt du eigentlich«, erkundigte ich mich, um mich zur Verräterfrage etwas vorzutasten, »wo Roberto und die anderen Mozambiquaner hingekommen sind?«
    »Das müsste ich dich fragen«, rief Nilowsky. »Deinem Vater sei Dank sind sie ja weg. Hast du nicht deinen Vater gefragt, wo sie hin sind? Hast du das etwa nicht?«
    »Hab ich«, antwortete ich. »Er meinte, er würde es selber nicht wissen. Vielleicht hat er mich angelogen …«
    »Was heißt hier angelogen«, unterbrach mich Nilowsky. »Du solltest froh sein, dass du einen Vater hast, der sich um dich kümmert, einen solchen Vater hast du. Dafür solltest du dankbar sein. Tausendmal dankbar solltest du sein.«
    Um ihn nicht in Rage zu bringen, erwiderte ich nichts. Ich nickte nur, und Nilowsky fuhr fort: »Nachdem sie weg waren, über Nacht einfach weg, ohne Abschied,nichts, einfach weg, eine Woche danach, da war ich in der Baracke. Das erste Mal war ich in der Baracke. Da staunst du, was? Das erste Mal.«
    Tatsächlich hatte ich geglaubt, Nilowsky wäre zumindest gelegentlich beim Kochen und Essen und Tanzen dabei gewesen, obwohl er das mir gegenüber nie behauptet hatte.
    »Ich war, gespannt war ich, wie es da drin aussah. Bin rein, spätabends, alles schon dunkel. Im Flur sehe ich Besen und Eimer, das war alles, nichts weiter. Auf einmal ist jemand hinter mir. Ich ahne es, ich rieche es: Roberto. Im Flur, in der Dunkelheit. ›Was machst du hier?‹, fragt er mich. ›Und du?‹, frag ich zurück. Und er, alles andere als erfreut, als hätte ich ihn bei irgendwas erwischt: ›Ich? Such was. Hab was vergessen. Das ist alles. Bin gleich wieder weg.‹ – ›Ich auch‹, sag ich, ›bin auch gleich wieder weg. Muss weit weg, muss ich, damit die Polizei mich nicht findet, weit weg. Kann ich dir helfen beim Suchen?‹ Und er: ›Danke. Brauch nicht Hilfe bei Suche.‹ Na gut, eben nicht, denk ich mir. Aber eins will ich wissen, unbedingt: ›Wo seid ihr eigentlich hinversetzt worden, plötzlich, über Nacht?‹ Und er, mit einer Angst, die hab ich bei ihm noch nicht gesehen, mit solch einer Angst: ›Darf nicht sagen. Ist geheim, wo wir hin.‹ Und ich: ›Aber mir kannst du’s verraten, bin dein Freund, das bin ich.‹ Und er: ›Nein, darf nicht. Hohe Genosse von Partei, von sozialistisch Einheitspartei hat gesagt. Nein, nicht gesagt. Befohlen hat er.‹ Ich dachte, ich hör nicht richtig. Roberto, wie verwandelt. Wie ein Zauberopfer, so verwandelt, wie verhext. ›Befohlen?‹, frag ich. ›Was heißt hier befohlen?‹ Und Roberto: ›Ist revolutionärer Befehl. Darf nicht verstoßen. Darf auchnichts verraten.‹ – ›Aber mir!‹, schrei ich. ›Deinem Freund! Ich sag nichts weiter, niemandem.‹ Und Roberto: ›Leise. Sei leise. Du wirst gesucht von Polizei …‹ – ›Das ist mir egal‹, schrei ich, ›vollkommen egal!‹ Roberto schwitzt schon vor Angst. ›Bist Verbrecher‹, sagt er. ›Hast Genossin von Partei angegriffen. Darf man nicht machen.‹ Kaum hat er’s gesagt, rennt er raus. Rennt und rennt. Wie vom Teufel verfolgt. Oder von irgendwelchen indischen Göttern, was weiß ich, wovon. Ist egal, wovon, sag ich mir. Vollkommen egal. Denk plötzlich an die Polizei, nur noch an die. Was ist, wenn Roberto die Polizei herschickt, wenn er das, sogar das tut? Deshalb bin ich auch weg, schnell weg. Nichts gesehen außer den Flur mit dem blöden Besen und dem blöden Eimer. Nicht mehr da gewesen, kein einziges Mal. Schlaf unter Brücken, auf Dachböden, an Bahngleisen. Natürlich an Bahngleisen. Mal da, mal dort. Kaum was zu essen. Macht aber nichts. Hält wach, der Hunger. Keine Chance für die Polizei, keine Chance, wenn ich wach bin, mit allen Sinnen. Ich ahne die, sobald sie in der Nähe sind, ich rieche die. Und Roberto? Armer Verräter. Das ist Roberto. Bestimmt haben sie einen bösen Zauber mit ihm gemacht, Voodoo-Zauber, hundertprozentig. Jedenfalls, das muss ich dir sagen: Gut, dass du Carola nicht mit dem Blut. Das war nämlich böses Blut, was denn sonst? Hat Carola nicht verdient, hat sie nicht. Wer weiß, was mit ihr passiert wäre. Danke dir, dass du’s nicht gemacht hast. Tausend Dank.«
    Ich ließ Nilowskys Worte für mich nachklingen und dachte: Nun müsste ich mich eigentlich befreit fühlen

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