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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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Olivenhain klebte. »Er kann nicht mit euch auf ein und demselben Friedhof liegen, das kann er nicht. Ich meine, das kann euch niemand zumuten, das meine ich und nichts anderes.« Nilowsky hatte Tränen in den Augen. »Hab extra gewartet«, sagte er zu mir. »Bis kein Frost mehr in der Erde ist. Wir müssen uns beeilen, klar, müssen wir. Können um die Wette graben. Müssen wir sogar. Wer zuerst auf seine Urne stößt, darf die Fleisch- und Knochenbatzen bis ins Kleinste zerstückeln und wegwerfen, weit weg.«
    Wir liefen zur Urnenstelle von Nilowskys Vater und begannen unverzüglich mit dem Graben. Er von der linken Begrenzung aus, ich von der rechten. Bloß nicht die Wette gewinnen, dachte ich. Aber auffallen sollte es ihm auch nicht, dass ich das keinesfalls wollte. Ich grub so schnell und kraftvoll, dass ich heftig ins Schwitzen kam, und war froh, dass Nilowsky noch schneller war. »Wusstest du eigentlich«, fragte er, »dass auch Leichenfleisch Bioströme aussendet? Nein, das weißt du nicht. Woher sollst du das auch wissen? Ich weiß es ja auch erst, seitdem ich davon träume, fast jede Nacht träum ich davon. Träume, wie der Alte unerwartet hinter mir steht, im Flur der Baracke steht er hinter mir, erschrickt mich mit seinem blöden, hässlichen Lachen und sagt:›Mein Fleisch und meine Knochen senden Bioströme aus, und die verjiften den janzen Friedhof, jawoll, den janzen Friedhof!‹ Ich denk sofort an meine Mutter, an meine Oma, an Carolas Verwandte denk ich, Onkel Antatsch, Tante Fettsucht, Oma Vergesslichkeit, Opa Hundertfuffzigprozentig, Analphabeten-Leo, Krebs-Käthe. Alle liegen sie ja auf dem Friedhof, alle werden sie vergiftet von den Leichenfleischbioströmen. Und auf einmal in den Träumen ist Carola da, im Flur der Baracke, neben dem Alten. Sie lächelt nur, lächelt mich an, aber dann hüpft sie weg. Raus aus der Baracke und immer weiter weg, und bald ist sie nicht mehr zu sehen. Und ich weiß sofort, ganz sicher weiß ich das, dass ich die Leichen- und die Knochenteile von dem Alten ausgraben und vernichten muss, muss ich die, und weit wegbringen. Damit nicht eine Winzigkeit von seinen giftigen Bioströmen auch nur in die Nähe vom Friedhof kommt, nicht eine klitzekleine Winzigkeit! Dann wird Carola zu mir kommen, und nicht im Traum, sondern in der Wirklichkeit, wenn du verstehst, was ich meine. Und lächeln wird sie und nicht mehr weggehen, nie mehr. Das wird sie!«
    Mit diesem letzten Satz stieß Reiners Spaten auf die Urne. »Gewonnen!«, raunte er mir zu.
    Wir gruben die Urne frei. Nilowsky legte sich auf den Bauch und hob sie aus dem Loch. Dann stand er auf und zerschlug das Gefäß auf dem Grabstein.
    »Nicht so laut!«, flüsterte ich. Er achtete überhaupt nicht auf mich. Er kippte den Inhalt der Urne vor unsere Füße, und ich atmete auf, als ich keinen einzigen Fleischbatzen sah und keinen Knochen, sondern nur Asche.
    »Ich kann’s nicht glauben«, sagte Nilowsky, »ich kann’s einfach nicht glauben.«
    Er holte eine Taschenlampe aus seinem Koffer und beleuchtete die Asche, bis er sicher sein konnte, dass nichts als Asche in der Urne gewesen war. Er legte die Taschenlampe in den Koffer zurück und zog eine Flasche Meldekorn hervor. »Hier!« Er reichte mir die Flasche. »Trink!« Es war ein Befehl, und nicht der Hauch einer Bitte war dabei.
    Ich nahm die Flasche, öffnete sie, und schon von dem Schnapsgeruch wurde mir fast schlecht.
    »Trink! Na los!«
    Ich nahm einen kleinen Schluck.
    »Wie? Das ist alles? Na gut, schade um den edlen Tropfen, wenn du ihn nicht magst. Schade drum.«
    Er riss mir die Flasche aus der Hand, legte den Kopf in den Nacken und trank. Ich starrte auf seinen riesigen Adamsapfel, der bei jedem Schluck hoch- und runterging. Ich zählte: Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben. Nilowsky setzte die Flasche ab, die nur noch halbvoll war, schüttelte sich und sagte lallend: »Das war’s. Aber noch nicht alles, nur fürs Erste war’s das, nur fürs Erste.«
    Er grinste und hustete. Er war betrunken, und mir war klar: Er war es, weil er es sein wollte .
    »Kannst du dich erinnern? Als ich, bei seiner Beerdigung war’s, als ich ›Am Brunnen vor dem Tore‹ hab spielen lassen, das Lied, das er immer gehasst hat, da hab ich dir erzählt, wie er zu Tode gekommen ist, das hab ich dir erzählt. Er hat nämlich gesehen, dass ich ihn umbringen wollte, mit der Salzsäure, die Roberto mir besorgt hatte. Ich hab gewartet, bis er mal pinkeln gehen würde. Aberer ging

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