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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Schulz
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von meinem Versagen. Doch ich fühlte mich nicht befreit, nicht im Mindesten. Ich hatte das Bedürfnis, ihmfür seinen Dank zu danken, aber nicht einmal dazu war ich in der Lage. Plötzlich blieb Nilowsky stehen, zog mich an sich heran. Ich roch wieder seinen Atem, diesen heftigen Schnapsdunst. »Ja, ich trinke«, raunte er mir zu. »Riechst du ja, oder? Ich sehe ja, wie du’s kaum aushältst, das zu riechen. Ich klau mir den Schnaps aus den Kaufhallen, in die ich ab und zu reingeh, und trink ihn, schön verteilt übern Tag, schön verteilt. Hält warm der Schnaps, das tut gut. Und ich werd’ nicht betrunken. Werd’ ich nicht. Weil ich nicht betrunken werden will . Verstehst du das?«
    Weil ich nicht betrunken werden will – das waren genau die Worte seines Vaters gewesen. Aber das sagte ich nicht.
    »Ich habe besondere Enzyme«, erklärte Nilowsky und atmete mir ins Gesicht, »nicht nur das ADH, das Alkoholdehydrogenase, das hat ja jeder, falls du das überhaupt kennst, falls du davon überhaupt schon jemals gehört hast. Nein, besondere Enzyme, die hab ich. Die bauen ganz schnell den Alkohol ab. Kaum dass ich ihn getrunken hab, den Alkohol, bauen die den schon ab. Wenn ich will, dass die den abbauen. Willensenzyme. Vielleicht hatte mein Alter die auch. Aber der hat so viel gesoffen, da haben die Willensenzyme auch nichts mehr geholfen. Da hat nichts mehr was geholfen. Deshalb hab ich ihn ja auch verbrennen lassen, die alte Drecksau. Denn wer so viel säuft, wie der Alte gesoffen hat, der kann nicht verwesen, kann der nicht.«
    Ich vermochte den Schnapsdunst fast nicht mehr zu ertragen und hielt die Luft an.
    »Vielleicht aber«, flüsterte Nilowsky, »vielleicht ist er gar nicht verbrannt worden. Vielleicht hat der vieleSchnaps ihn dermaßen konserviert, dass er gar nicht brennen konnte. Und daraufhin haben sie ihn wieder rausgezogen aus dem Verbrennungsofen. Haben die Knochen und das bisschen Fleisch, das er noch auf den Knochen hatte, einfach zersägt. Haben die einzelnen Teile weggeworfen, und nur zwei oder drei Fleisch- und Knochenbatzen, die haben sie in die Urne getan, haben sie die. Damit die Urne nicht zu leicht ist, wenn sie ins Grab getragen wird. Fällt ja auf, wenn die Urne zu leicht ist. Warum atmest du nicht mehr? Willst du tot umkippen, damit ich dich reanimiere, falls du überhaupt weißt, was das ist, reanimieren?«
    »Nein«, antwortete ich und atmete tief ein und aus.
    Er blies mir abermals seinen Atem ins Gesicht und sagte: »Morgen Abend, neun Uhr. Punkt neun. Treffpunkt Chemiewerk. Am Schlupfloch. Erinnerst du dich?«
    »Ja, klar«, beeilte ich mich zu versichern. »Klar erinnere ich mich.«
    »Gut. Bis morgen.«
    Mit diesen Worten drehte er sich von mir weg und eilte mit seinen langen staksigen Beinen davon.

29
    Am nächsten Abend war ich schon zehn Minuten vor neun in der Nähe des Chemiewerks, um pünktlich an unserem Geheimeingang zu sein. Kaum war ich da, kam Nilowsky aus einem Gebüsch hervor. Er roch modrigsäuerlich, aber bei Weitem nicht so sehr nach Schnaps, wie ich es vom Tag zuvor noch in der Nase hatte. Außer seinem Koffer hatte er zwei Spaten bei sich, und ohne mich zu begrüßen, reichte er mir einen davon.
    »Hier. Gibt was zu tun heute. Komm mit!«
    Ich nahm den Spaten und folgte ihm, jedoch nicht ins Chemiewerk, sondern, wie mir rasch klar wurde, Richtung Friedhof. »Nicht dass du denkst, ich hätte die geklaut, die Spaten. Ich bin ja kein Dieb, nicht dass du das denkst, ich meine, abgesehen von den Kaufhallen, wo ich den Schnaps klaue. Aber das ist eigentlich auch kein Diebstahl, ich meine, ich muss mich ja versorgen, wenn ich von der Polizei gesucht werde und deshalb nicht arbeiten gehen kann und Geld verdienen. Die Spaten, die bringe ich zurück, die sind nur ausgeliehen. Die merken das noch nicht mal, die Laubenbesitzer, dass ich mal was ausgeliehen hab für einen Abend, das merken die gar nicht.«
    Mir war inzwischen auch klar, was er vorhatte auf dem Friedhof; und so sehr es mich dabei schauderte, ich sagte kein Wort dazu.
    Um nicht mit der Polizei zusammenzutreffen, gingen wir einen Umweg. »Ich weiß, wo die langgehen und wo nicht. Die haben immer dieselben Strecken. Idiotisch, was? Als ob die mich gar nicht finden wollen.«
    Am Friedhof angelangt, warfen wir unsere Spaten und den Koffer über die Mauer und kletterten hinterher. Wir gingen zum Grab von Carla und Maria Serrini. Nilowsky legte seine Hand auf den Grabstein, an dem immer noch das Foto mit dem

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