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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky
Autoren: Torsten Schulz
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hatte ja auch wir und uns gesagt, und trotzdem hatte sie sich nicht mehr bei mir gemeldet. Sie war also mit dem, was sie sagte, nicht gerade ein Paradebeispiel an Zuverlässigkeit. Es hätte mich nicht überrascht, wenn sie mir an der nächsten Ecke entgegengekommen wäre.
    Statt Carola sah ich jedoch Wally. Sie hatte ihre widerspenstigen grauen Haare streng nach hinten gebunden und harkte das Grab von Carla und Maria Serrini. Breitbeinig stand sie da, harkte bedachtsam um die Stiefmütterchen herum und schnaufte dabei vor sichhin. Das Foto mit dem Olivenhain war nicht mehr am Grabstein. Nur noch Klebstoffspuren erinnerten daran.
    »Guten Tag. Kann ich helfen?«
    Wally schaute auf, blinzelte, weil ihr Schweiß in die Augen floss, und sagte nur: »Ach, dir jibt’s ooch noch? Klar kannste mir helfen.«
    Da sie sogleich weiterharkte, ging sie wohl davon aus, dass ich selber wissen würde, wie ich zu helfen hätte. Ich ging mit der Gießkanne los, füllte sie mit Wasser, und als ich zurückkam, sagte Wally, ohne vom Harken aufzuschauen: »Ick kann mir vorstellen, wen du suchst. Aber nich nur Carola, ooch Reiner hat sich bei mir nich mehr blicken lassen. Nur hier uff ’m Friedhof müssen sie jewesen sein, heimlich, bestimmt nachts, denn irgendwer muss ja dit Foto entfernt haben. Vor drei Monaten, als der Sommer begann, war’s weg, von einem Tag zum andern, und Reiner hatte da jerade seine vier Jahre abjesessen, wenn ick richtig jerechnet hab. Da muss er gleich her mit Carola. Klar, wer denn sonst?«
    Also doch ein Schlussstrich, dachte ich und fragte mich zugleich, wie Wally mit Sicherheit davon ausgehen konnte, dass Reiner und Carola das Foto abgenommen hatten.
    »Jedenfalls«, resümierte sie, »am Ende hat dit Hühnerblut jeholfen. Wer hätte dit allen Ernstes jedacht? Ick meine, dit hätte ick dem Wudu nich zujetraut.«
    »Haben sie geheiratet?«, fragte ich.
    Wally schaute mich an. Sie stützte sich auf die Harke und schnaufte kräftig aus. »Wat weeß denn ick? Mir haben sie nich einjeladen.« Sie reichte mir die Gießkanne und sagte: »Komm mit!«
    Ich folgte ihr den Friedhofsweg entlang und fragtemich, was es damit auf sich hatte, dass nun auch sie mich mit diesem »Komm mit!« ansprach. Wirkte ich etwa so unterwürfig, dass ich diese Aufforderung geradezu heraufbeschwor?
    An der Urnenstelle von Karl-Heinz Nilowsky blieben wir stehen. Auch hier Stiefmütterchen, die ich auf Wallys Anweisung goss, während sie mir erklärte, dass Reiner kurz nach seiner Verurteilung eine neue Urne gekauft hatte, in die man die Asche von seinem Vater hineingetan hatte, die bei der Ausgrabungsaktion übrig geblieben war.
    »Ich bin dabei gewesen«, sagte ich. »Ich meine, wir haben zusammen … Zusammen haben wir die Urne ausgegraben.«
    Es tat mir gut, dass ich das sagte, und ich hoffte, Wally würde mich jetzt neugierig ausfragen. Sie war aber weit weniger neugierig als besorgt. »Wenn’s so jewesen is«, meinte sie, »behalt’s in Zukunft mal schön für dir. Oder willste ooch noch in ’n Knast wandern?« Wieder schnaufte sie kräftig aus. Dann sagte sie mit leiser, fast brüchiger Stimme: »Manchmal denk ick, da is nich seine Asche in der Erde, sondern er selber, der alte, versoffne Nilowsky. Er hat nur die Luft anjehalten und die Augen zu, und mit der Zeit hat er so viel Kraft anjesammelt, dass er seine Hand durch die Erde bohren und mir packen und zu sich nach unten ziehen kann, wo ick nich mehr wegkomme und für immer bleiben muss. Und alle fragen sich: Wo is denn bloß die Wally hin? Aber irgendwann fragt sich keener mehr, und ick bin bei ihm und komm nich weg. Gott, nee, is dit schrecklich. Dit is ja schlimmer als der schlimmste Horrorfilm. Bloß schnell weiter. Bevor ick seine hässliche Knochenhandnoch herbeirede und du ’n Herzschlag kriegst, wenn die hier aus der Erde jeschossen kommt.«
    Wieder folgte ich ihr, während Wally seufzte und in einem bedauernden, beinahe zärtlichen Tonfall weiterredete: »Und weeßte eijentlich, wat schade is? Dass die Mozambiquaner alle weg sind und keener von ihnen hier liegt, dit is schade. Hätt’ ja ruhig mal eener sterben können. Am liebsten natürlich Roberto. Oder ooch Pedro. Ach, den würd’ ick gießen und harken wie keenen andern. Da könnten mir ruhig alle Neger-Wally nennen. Dit wär mir völlig schnuppe.«
    Ich dachte, dass ich entsetzt sein müsste über Wallys Wunsch, aber ich war es nicht. Stattdessen bekam ich einen Schreck, als ich das Urnengrab von Helene
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