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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky
Autoren: Torsten Schulz
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Reaktion. »Die sind klug, die Inder, clever sind die, denn ihr Hakenkreuz, das ist genau verkehrt herum. So kann keiner sagen: Ihr Verbrecher, das ist ja ’n Hakenkreuz. Kann keiner sagen. Genau verkehrt herum.«
    Von indischen Hakenkreuzen hatte ich noch nie gehört. Trotzdem sehr unwahrscheinlich, dachte ich, dass Nilowsky sich so was ausdenkt. Ich hörte ihn wieder trinken und kräftig ausatmen.
    »Na ja, kein Wunder, dass die Inder Afrika erobern, Schritt für Schritt erobern sie Afrika, die Ostküste haben sie schon lange erobert, Tansania, Mozambique, alles im Griff, mit ihren Geschäften, mit ihrem Handel. Handel und Wandel, kennst du nicht das Sprichwort? So schnell können die faulen Neger gar nicht gucken, wie sie von den Indern erobert werden. Aus Angst vor den Eroberern behaupten sie, an Reinkarnation zu glauben. Dabei gibt’s die, manchmal gibt’s die, aber die Neger glauben nicht dran, tun nur so. Denken, man ist blöd und kauft’s ihnen ab, denken die.«
    Ich wollte fragen, wer denn in der flügellosen Fliege weitergelebt habe und wie es mit dem oder der weitergegangen sei nach dem Tod der Fliege, doch abgesehen davon, dass mir schon beim Aussprechen des Wortes »Fliege« vermutlich wieder schlecht geworden wäre, hielt ich es auch für ungehörig, mit solch einer Frage in Nilowskys Intimsphäre einzugreifen. Vielleicht aber hatte ich auch davor einfach nur mal wieder Angst. Ja, dachte ich, die Angst ist es, wie bei den Afrikanern, einfach nur die Angst.
    »Ich muss los«, sagte ich und erhob mich langsam und vorsichtig, damit mir nicht schwindlig wurde.
    Nilowsky war nicht nur irritiert, er wirkte geradezu erschrocken. »Was denn? Jetzt? Bleib noch, ’n bisschen. Bitte, bleib noch, ’n bisschen nur.«
    So unterwürfig hatte ich ihn noch nie erlebt. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Einerseits hatte ich, trotz allem, das Bedürfnis, ihm ein Freund zu sein, andererseits verspürte ich immer mehr den Drang, das Zimmer zu verlassen und aus der Wohnung zu rennen. Weg von Nilowsky, weg von Carola, die, wie auch immer, zu ihm gehörte, weg von all dem hier.
    »Leg dich wieder hin«, bat er mich. »Mach’s dir bequem. Schlaf ein Stündchen, dann kannst du immer noch gehen. Will einfach, dass du noch ein klein wenig bei mir bist, ein klein wenig nur.«
    Ich wusste nichts zu entgegnen und spürte wieder Übelkeit in mir aufsteigen. Nilowsky kam zum Kanapee und setzte sich neben mich. Er legte mir seine Hand auf die Stirn, drückte mich sanft zurück und stopfte mir ein Kissen unter den Kopf. Ich schloss die Augen, und die Angst, im Beisein von Nilowsky einzuschlafen, wich einer merkwürdigen Geborgenheit. Könnte tatsächlich schlafen, sagte ich mir und hörte, wie er wieder aufstand, zurück zum Tisch ging und von seinem Himbeergeist mit der toten Fliege trank. Erschöpft wie ich war, schlief ich mit dem Trinkgeräusch ein.
    Es war mitten in der Nacht, als ich schweißgebadet wach wurde. Nilowsky konnte ich nirgends im Zimmer entdecken. In der Flasche, die auf dem Tisch stand, war nur noch ein Daumenbreit Himbeergeist, in dem die Fliege, wie ich zu erkennen glaubte, unverändert hinund her schaukelte. Leise erhob ich mich vom Kanapee, schlich mich zum Flur und sah Nilowsky vor der Wohnungstür schlafen. Keinen Spalt, da war ich mir sicher, würde ich die Tür öffnen können, ohne ihn zu wecken.
    Ich ging zurück ins Wohnzimmer, öffnete das Fenster, kletterte das Regenrohr herunter, rannte über den Antonplatz in die Langhansstraße und rannte und rannte.

38
    Durch diese Begegnung mit Nilowsky und Carola war die Armeezeit in recht weite Ferne gerückt. Sie kam mir auf einmal vor wie ein jahrelang zurückliegendes Intermezzo von nicht mehr als einigen Wochen. Dass Carola, ihrer romantischen Erinnerung an die Gerichtsverhandlung zum Trotz, ganz offenkundig an Nilowskys Seite litt und verkümmerte, ließ mir keine Ruhe. Nicht mehr lange, dachte ich, und sie würde so grau und schmal sein, dass um ihr Leben zu fürchten wäre. Nilowsky hatte mich als Freund bezeichnet, doch unter diesen Umständen konnte ich das nicht sein. Ohnehin wollte ich es auch nicht mehr.
    Ich spürte ein von Tag zu Tag stärker werdendes Bedürfnis, Carola zu retten. Es war keine Verliebtheit, die diesem Bedürfnis zugrunde lag, es war etwas, das ich als tieferes Gefühl empfand, irgendetwas zwischen Liebe und Freundschaft. Mit diesem Gefühl ging ich immer wieder durch die Parks von Pankow und Weißensee, aber ich traf
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