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Nilowsky

Nilowsky

Titel: Nilowsky
Autoren: Torsten Schulz
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Gesindel.‹ Und der alte Sack musste auch noch seinen Senf dazugeben: ›Der ist eine Schande für unsere sozialistische Gesellschaft.‹« Carola nahm einen tiefen, wütenden Zug von ihrer Zigarette, ehe sie in jenem telegrammartigen Stil fortfuhr, den ich eigentlich nur von Nilowskys schriftlichen Mitteilungen kannte. Dass sie so redete, tat ihm sichtlich gut. »Reiner bei der Verhandlung. Ganz dünn. Riesenaugen. Gibt alles zu und noch mehr: ›Wollte die Worgitzke nicht vergewaltigen, sondern umbringen. Hab’s nicht fertiggebracht, blöderweise.‹ Da musste ich grinsen. Die fette Plinse, wie soll man die auch vergewaltigen wollen? Reiner guckte zu mir. Da verging mir das Grinsen. Seine Augen leuchteten. Wunderschön. Ganz offen, ganz ruhig.«
    Carola verstummte, und es kam mir vor wie ein Zeichenfür Nilowsky, dass er nun dieses große gemeinsame Erlebnis weitererzählte.
    »Ja, das war ich: Ruhig, sicher. Konnte kommen, was wollte. Hauptsache, Carola schaute zu mir. Und wie sie schaute, das gab mir Kraft. Unendlich viel Kraft gab mir das. Mit dieser Kraft konnte ich in den Knast gehen. Mit dieser Kraft würde ich alles überstehen, alles. So dachte ich, so fühlte ich.«
    »Und ich«, fuhr Carola fort, »konnte es einfach nicht fassen. Mein Herz schlug höher. Ich war stolz auf ihn. Auf seinen Mut. Wie ein Revolutionär, so ein Mut. Vier Jahre dafür, keinen Tag weniger. Die Bonzeneltern, die Drecksäcke, ganz wütend. Weil sie nicht als Zeugen gehört wurden. ›Der hätte noch mehr kriegen müssen‹, meinte der Alte. ›Hätten sie mich zu Wort kommen lassen, hätte er das Doppelte gekriegt.‹ Und die fette Tonne: ›Vier Jahre, die sitzt der doch mit einer Arschbacke ab, auch wenn die nur aus Knochen besteht, so klapperdürre wie der ist.‹ Hätte der perversen Kuh an den Hals springen, sie erwürgen können. Aber sah ihre Angst. Und die von dem alten Sack. Hatten Angst, dass er nach vier Jahren rauskommt, und das Erste, was er macht, ist, sie irgendwo abzufangen, nachts auf der Straße oder sonst wo.«
    Sie blies genüsslich den Rauch ihrer Zigarette über den Tisch. Nilowsky trank einen großen Schluck Wein und sagte so stolz, wie ich ihn noch nie vorher gehört hatte: »Das war unsere Geschichte.« Und dann: »Hab Genossen Worgitzke und seine Gattin nicht mehr gesehen seitdem. Hab auch nicht das Bedürfnis danach. Sollen Alpträume von mir haben. Das wär das Beste.«
    Er lachte, Carola stimmte mit ein. »Hab sie zur Hochzeit eingeladen. War mir ein innerer Vorbeimarsch. Natürlich sind sie nicht gekommen. War mir von vornherein klar. Bin ja nichts als eine Schande für sie. Verheiratet mit einem asozialen Kriminellen. Schimpf und Schande. Was Besseres konnte mir gar nicht passieren. Ich meine, ich bin sie los. Aus, vorbei!«
    Sie nickte zufrieden, und dennoch spürte ich, dass sie immer noch wütend war auf ihre Eltern, dass sie nicht, wie sie vorgab, mit ihnen abgeschlossen hatte. Ich sagte nichts dazu. Ich kam mir fremd vor zwischen den beiden, in ihrer Wohnung mit den Möbeln von Carla Serrini. Ich starrte Carola an, versuchte aus ihrem Gesicht Antworten auf die Fragen herauszulesen, die ich nicht stellte. Carola schaute zur Seite und sagte: »So, jetzt geh ich schlafen.«
    Nilowsky sah irritiert zu ihr. Offenbar war so ein frühzeitiger Abgang alles andere als verabredet zwischen ihnen. Er stopfte sich ein Stück Schweinebraten in den Mund, als müsse er verhindern, etwas zu sagen, was er besser nicht sagen sollte. Trotzdem gab er Carola mit der Hand ein Zeichen, dass er etwas sagen wolle, sobald er fertiggekaut habe.
    »Was ist denn?«, fragte Carola ungehalten und stand auf. »Ich bin müde. Das ist alles. Und ihr habt euch doch sicherlich auch ohne mich ein paar Sachen zu erzählen, oder?«
    Nilowsky schluckte den Bissen hinunter. Er nickte, aber ich sah ihm an, dass er seinen Unmut nur schwer unterdrücken konnte.
    »Ja, haben wir, das haben wir«, meinte er, während Carola erneut einen tiefen Zug von der Zigarette nahm,ehe sie den Stummel im Aschenbecher auf der Kommode ausdrückte und das Zimmer verließ.
    Eine Weile saßen wir uns schweigend gegenüber. Nilowsky nahm sich erneut vom Schweinebraten, den Kartoffeln und der Soße und aß vor sich hin, als ob es mich nicht geben würde. Nun hatten wir das Gegenteil einer feierlichen Situation. Und das tat mir leid für Nilowsky. Ich fragte mich, ob Carola gegangen war, weil ich sie so angestarrt hatte. Ich fühlte mich schuldig und
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