Nimm dich in acht
dieser abgebrühten Fassade war Tiffany ein liebes Mädchen. Jedesmal, wenn ich an ihre Bemerkung über die Kunden im ›Grotto‹ und den Elefantengott denke, muß ich lachen. Hoffentlich finden sie den Kerl, der ihr das angetan hat. Auf Wiedersehen.«
Susan bezahlte, nahm ihre Schultertasche und fuhr mit dem Taxi nach Downtown zur Ecke West Fourth Street und Sixth Avenue. Auf dem Weg schaute sie in ihrem Plan von Greenwich Village nach. Obgleich sie schon einige Jahre dort lebte, war die Gegend immer noch ein wenig verwirrend für sie. Sie hatte vor, von der U-Bahnstation aus die verwinkelten Straßen des Village abzugehen, bis sie einen Andenkenladen fand, in dem es indische Götter gab und der einem Sexshop gegenüber lag.
Es klang ziemlich einfach; wieviele solcher Läden konnte es schon geben?
Ich könnte Chris Ryan um Hilfe bitten, dachte sie, aber so groß ist das Village auch wieder nicht, und ich sollte zumindest den Versuch machen, es allein zu schaffen.
Wenn sie den Laden fand, so hatte sie beschlossen, würde sie hineingehen und mit dem indischen Verkäufer ins Gespräch kommen. Später dann, sobald sie das Kreuzfahrtfoto hatte, auf dem der Mann abgebildet war, der Carolyn Wells den Türkisring gegeben hatte, konnte sie den Verkäufer fragen, ob er ihn wiedererkennen würde.
Sie war noch nicht am Ziel, aber sie kam dem Killer näher. Das konnte sie spüren.
82
Carolyn fühlte erneut die Schmerzen und hatte große Angst. Sie wußte nicht, wo sie war, und als sie zu sprechen versuchte, gehorchten ihr Zunge und Lippen nicht. Sie wollte die Hand heben, aber die ließ sich nicht bewegen.
So gern hätte sie Justin gesagt, wie leid es ihr tat. Aber wo war er? Warum kam er nicht zu ihr?
Sie spürte, wie im Dunkeln etwas auf sie zuschnellte. Es würde ihr weh tun! Wo war Justin? Er würde ihr helfen.
Endlich konnte sie die Lippen bewegen; endlich hörte sie die Worte aus ihrer Kehle aufsteigen: »Nein … bitte …
nein! Justin!« Und dann hatte es sie eingeholt, und sie spürte, wie sie wieder versank, wie ihr Verstand sich vor den furchtbaren Schmerzen zurückzog.
Hätte sie das Bewußtsein wiedererlangt, dann hätte sie Justins gequälten Aufschrei gehört, als die Monitore panisch piepsten und Code 9 aktivierten, aber sie hörte es nicht.
Und sie sah auch nicht das Verdammungsurteil in der Miene der Polizeibeamtin, die Justin über das Bett hinweg vorwurfsvoll fixierte.
83
Am Freitag abend kam Alex Wright erst gegen sieben Uhr nach Hause. Er war den ganzen Tag im Büro geblieben und hatte sich sogar das Mittagessen bringen lassen, was er eigentlich sehr ungern tat, um seine Reise in der nächsten Woche vorzubereiten.
Nach dem arbeitsintensiven Tag freute er sich auf den vor ihm liegenden ruhigen Abend und ging direkt in sein Ankleidezimmer, wo er eine bequeme Hose und einen Pullover anzog. Wie so oft beglückwünschte er sich im stillen, daß er endlich das Problem des knappen Stauraums gelöst hatte.
Vor ein paar Jahren war sein Ankleidezimmer von einem angrenzenden Schlafzimmer abgezweigt worden und bot jetzt genug Platz für seine umfangreiche Garderobe. Eine Vorrichtung, die ihm besonders gefiel, war das Tischregal, auf dem stets ein reisefertiger Koffer lag. An der Wand darüber hing zur Erinnerung eine Liste der Dinge, die er für das jeweilige Klima und die jeweiligen Veranstaltungen brauchen würde.
Der Koffer war bereits halbvoll mit Kleidungsstücken, die nach einer Reise gleich gewaschen, gereinigt oder gebügelt und wieder hineingelegt wurden: Unterwäsche, Socken, Taschentücher, Schlafanzüge, ein Morgenmantel, Smokinghemden.
Für ausgedehntere Reisen, wie zum Beispiel die bevorstehende Reise nach Rußland, packte Alex lieber selbst. Wenn er aus irgendeinem Grund zu beschäftigt war, kümmerte sich Jim Curley darum. Sie mokierten sich immer noch darüber, daß Marguerite einmal, als sie mit dieser Aufgabe betraut worden war, vergessen hatte, ein feines Hemd einzupacken, was Alex erst entdeckte, als er sich zu einem offiziellen Dinner in London ankleiden wollte.
Als Alex seine bloßen Füße in bequeme alte Slipper schob, lächelte er bei dem Gedanken daran, was Jim zu diesem Vorfall bemerkt hatte: »Ihr seliger Vater hätte sie bedenkenlos aus dem Haus gejagt.«
Bevor er das Ankleidezimmer verließ, warf Alex noch einen Blick auf die Liste und dachte, daß es im Oktober in Rußland gewöhnlich schon bitterkalt war und es deshalb wohl klüger wäre, seinen dicken Mantel
Weitere Kostenlose Bücher