Nimm dich in acht
Tiffany Smith war fünfundzwanzig Jahre alt. Sie wurde erstochen, als sie am Mittwoch abend von der Arbeit kam. Ich moderiere eine Radiosendung, in der sie vorher angerufen und von einem Andenkenladen im Village erzählt hatte, wo ihr Freund ihr einen Türkisring kaufte, in den der Spruch ›Du gehörst mir‹ eingraviert war. Sie hat den Laden beschrieben, und sie erwähnte einen Mann, einen Inder, wie sie dachte. Sie sagte, während sie und ihr Freund in dem Laden waren, habe ein Mann – ein anderer Kunde – einen Türkisring wie den ihren gekauft. Und ich bin überzeugt, daß sie deshalb sterben mußte – weil sie sagte, was sie gesehen hatte. Ich versichere Ihnen, Parki ist ebenfalls tot, weil er diesen Mann hätte identifizieren können. Nat, ich spüre, daß Sie etwas wissen. Sie müssen es mir sagen, bevor noch jemand umkommt.«
Wieder blickte Nat Small nervös zur Tür, als habe er Angst. »Ich will nicht in die Sache verwickelt werden«, sagte er leise.
»Nat, wenn Sie etwas wissen, sind Sie bereits verwickelt. Bitte sagen Sie es mir. Was ist passiert?«
Jetzt flüsterte er beinahe. »Am Dienstag kurz vor eins trieb sich hier ein Typ herum und sah in mein Schaufenster – so wie der Typ da draußen es jetzt macht.
Ich dachte, er will sich irgendwas aussuchen, um es zu kaufen, und traut sich vielleicht nicht – er war sehr gut angezogen –, aber dann überquerte er die Straße und ging in Parkis Laden. Danach kam ein Kunde rein, und ich habe nicht mehr darauf geachtet.«
»Haben Sie das der Polizei gesagt?«
»Genau das habe ich nicht getan. Die Polizei hätte mir Verbrecherfotos gezeigt, oder ich hätte ihn einem Polizeizeichner beschreiben müssen, aber das wäre sinnlos gewesen. Er war nicht der Typ, den man in der Verbrecherkartei findet, und ich hab’ kein Talent, anderen zu sagen, was sie zeichnen sollen. Ich hab’ den Typ von der Seite angeschaut. Er wirkte vornehm – war so Ende dreißig … Trug eine Mütze, Regenmantel und eine Sonnenbrille, aber ich hab’ ihn trotzdem deutlich im Profil gesehen.«
»Glauben Sie, daß Sie ihn wiedererkennen würden?«
»Lady, in meiner Branche muß ich Leute wiedererkennen können. Wenn ich mich nicht erinnere, wie die Zivilcops aussehen, könnte ich eingelocht werden, und wenn ich nicht in der Lage wäre, Junkies von normalen Leuten zu unterscheiden, würde ich umgebracht.
Hören Sie, jetzt müssen Sie aber verschwinden. Sie sind schlecht fürs Geschäft. Hier kommt keiner rein, um was zu kaufen, solange eine vornehme Lady da steht.«
»Na schön, ich gehe. Aber Nat, sagen Sie mir eins –
würden Sie diesen Mann wiedererkennen, wenn ich Ihnen ein Foto von ihm zeige?«
»Ja, das würde ich. Also, gehen Sie jetzt?«
»Sofort. Ach, und noch eins, Nat … Reden Sie nicht darüber – mit niemanden. Zu Ihrem eigenen Schutz.«
»Soll das ein Witz sein? Natürlich nicht. Ich versprech’s.
Und jetzt verduften Sie und lassen Sie mich Geld verdienen, ja?«
88
Als Douglas Layton um halb vier Jane Clausens Krankenzimmer betrat, sah er sie auf einem Stuhl sitzen.
Sie trug einen hellblauen Kaschmirmorgenmantel und hatte sich in eine Decke gewickelt.
»Douglas«, sagte sie müde, »haben Sie mir meine Überraschung mitgebracht? Die ganze Zeit schon überlege ich, was es sein könnte.«
»Schließen Sie die Augen, Mrs. Clausen.«
Ihr unwilliges Lächeln verriet ihre Gereiztheit, doch sie gehorchte. »Ich bin doch kein Kind«, murmelte sie.
Er hatte sie eigentlich auf die Stirn küssen wollen, ließ es jedoch bleiben. Das wäre ein Fehler, dachte er. Sei nicht dumm, übertreib nicht.
»Hoffentlich sind Sie zufrieden«, sagte er, während er die gerahmte Zeichnung so hielt, daß sie die Plakette mit Reginas Namen sehen konnte.
Jane Clausen schlug die Augen auf. Sie betrachtete das Bild lange. Nur eine Träne in ihrem linken Augenwinkel zeigte, wie bewegt sie war. »Wie wunderschön«, sagte sie.
»Ich kann mir kein schöneres Vermächtnis für Regina vorstellen. Wann habt Ihr diese Idee, das Waisenhaus nach ihr zu benennen, denn ausgeheckt?«
»Die Verwaltung des Waisenhauses hat uns gebeten, es nach Regina benennen zu dürfen. Wir werden es anläßlich der Einweihung des neuen Flügels, bei der ich nächste Woche anwesend bin, bekanntgeben. Eigentlich wollten wir warten und es Ihnen zusammen mit den Fotos von der Zeremonie zeigen, aber ich dachte, es würde Sie gerade jetzt aufmuntern.«
»Sie meinen, Sie wollten, daß ich es sehe, bevor ich
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