Nimm dich in acht
zufügt.
»Also fangen wir an«, schlug sie vor.
Carolyn Wells hatte ein Arbeitszimmer in der Wohnung, einen großen Raum komplett mit einem geräumigen Schreibtisch, einem Sofa, Zeichenbrett und Aktenschrank eingerichtet. »Sie hat auch ein Büro im Design-Haus«, erklärte Wells, an Susan gewandt. »Aber eigentlich erledigt sie den größten Teil der kreativen Arbeit hier, und ihre Privatpost sowieso.«
Susan hörte die Anspannung in seiner Stimme. »Ist der Schreibtisch verschlossen?« fragte sie.
»Keine Ahnung. Der ist für mich tabu.« Justin Wells wandte sich ab, als werde er beim Anblick des Schreibtischs, an dem seine Frau gewöhnlich saß, von seinen Gefühlen überwältigt.
Pamela Hastings legte die Hand auf seinen Arm. »Justin, warum wartest du nicht im Wohnzimmer auf uns?« schlug sie vor. »Das brauchst du dir doch nicht anzutun.«
»Du hast recht.« Er ging zur Tür, doch dort drehte er sich noch einmal um. »Aber ich bestehe auf folgender Bedingung: Ich will Bescheid wissen, wenn ihr etwas findet, Gutes oder Schlechtes, das nützlich sein kann«, sagte er fast vorwurfsvoll. »Habe ich euer Wort darauf?«
Beide Frauen nickten. Als er verschwand, wandte Susan sich an Pamela Hastings. »Fangen wir an«, sagte sie.
Susan sah den Schreibtisch durch, während Pamela in den Aktenschränken kramte. Was würde ich empfinden, wenn das bei mir gemacht würde? fragte sich Susan. Mal abgesehen von den Unterlagen zu meinen Patienten, die dem Klientenschutz unterliegen – was wäre mir peinlich, wenn andere es sehen und vielleicht darüber reden würden?
Das ließ sich leicht beantworten: der Brief, den Jack ihr geschrieben hatte, nachdem er ihr gesagt hatte, daß er und Dee sich liebten. An einen Teil erinnerte sie sich noch:
»Mein größter Schmerz ist, daß ich dir weh getan habe.
Aus freien Stücken hätte ich das nie getan.«
Höchste Zeit, den Brief zu verbrennen, entschied Susan.
Sie merkte, daß sie sich wie eine Voyeurin vorkam, weil sie die persönlichen Unterlagen einer Frau durchsah, der sie nie begegnet war. Carolyn Wells hatte eine sentimentale Ader, stellte sie fest. In der untersten Schublade ihres Schreibtisches lagen Ordner, auf denen Namen standen: »Mom«; »Justin«; »Pam«.
Susan warf nur einen kurzen Blick hinein und sah, daß sie Dinge wie Geburtstagskarten, Briefe und Schnappschüsse enthielten. In dem Ordner mit der Aufschrift »Mom« entdeckte sie eine Todesanzeige, die drei Jahre alt war. Als sie sie überflog, stellte sie fest, daß Carolyn ein Einzelkind gewesen war und daß ihre Mutter ihren Vater um zehn Jahre überlebt hatte.
Nur ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter hat sie sich von ihrem Mann getrennt und an der Kreuzfahrt teilgenommen, dachte Susan. Vermutlich war sie gefühlsmäßig angeschlagen und extrem anfällig für die Aufmerksamkeiten eines Menschen, dem sie offenbar etwas bedeutete.
Susan versuchte sich an den genauen Wortlaut der Bemerkung ihrer Mutter über die Begegnung mit Regina Clausen auf einer Aktionärsversammlung zu erinnern.
Etwas in der Art, wie aufgeregt Regina bei der Aussicht gewesen war, auf eine Kreuzfahrt zu gehen, und daß Reginas Vater mit über Vierzig gestorben war, und davor hatte er mit Bedauern von den Ferienreisen gesprochen, die er nie gemacht hatte.
Zwei verletzliche Frauen, dachte Susan, als sie den letzten Ordner zuklappte. Soviel ist klar. Aber hier ist nichts Nützliches zu finden. Sie blickte auf und stellte fest, daß Pamela Hastings mit der Durchsicht der drei Fächer des Aktenschranks fast fertig war. »Wie steht’s?« fragte sie.
Pamela zuckte die Schultern. »Nichts. Soweit ich sehe, hat Carolyn hier nur Unterlagen zu ihren letzten Aufträgen abgelegt: Briefe der Kunden, Aufnahmen der fertiggestellten Räume und so weiter.« Dann hielt sie inne.
»Moment mal«, sagte sie. »Das könnte es sein.« Sie hielt einen Ordner mit der Aufschrift »Seagodiva« in der Hand.
»Das war das Kreuzfahrtschiff, auf dem Carolyn mitfuhr.«
Sie kam mit dem Ordner zum Schreibtisch und zog einen Stuhl heran. »Hoffen wir das Beste«, murmelte Susan, als sie sich den Ordner gemeinsam vornahmen.
Doch die Unterlagen gaben nichts her. Sie bestanden aus den Dingen, die man gewöhnlich als Andenken an eine Reise aufbewahrt – eine Übersicht der Reiseroute, die täglichen Bordmitteilungen der Seagodiva, in denen die Tagesaktivitäten aufgelistet waren, und Informationen über die nächsten Zielhäfen.
»Mumbai, das ist der neue
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