Nimm dich in acht
oder, wenn man will, der alte Name von Bombay«, sagte Pamela. »Dort ist Carolyn an Bord gegangen. Oman, Haifa, Alexandria, Athen, Tanger, Lissabon – das waren ihre Zielhäfen.«
»In Algier wäre Carolyn beinahe mit dem geheimnisvollen Mann zusammengetroffen«, sagte Susan.
»Sehen Sie sich das Datum an. Das Schiff sollte planmäßig am fünfzehnten Oktober in Tanger anlegen.
Das ist nächste Woche genau zwei Jahre her.«
»Am zwanzigsten traf sie zu Hause ein«, bemerkte Pamela Hastings. »Das weiß ich noch, weil es der Geburtstag meines Mannes ist.«
Susan sah die Bordmitteilungen durch. In der letzten Mitteilung waren mögliche Ausflüge beschrieben. Die Überschrift lautete: DER BUNTE MARKT IM ALTEN
ALGIER …
Das ist eine Zeile aus einem Song … Wie heißt er noch?
Ja, aus »Du gehörst mir«, dachte sie. Dann bemerkte sie, daß eine dünne Bleistiftnotiz auf die letzte Seite gekritzelt war. Sie beugte sich hinunter, um sie zu entziffern. Die Notiz lautete: »Win, Palace Hotel, 555-0634.«
Sie zeigte Pamela das Blatt. »Ich glaube, wir können davon ausgehen, daß Win der Mann ist, mit dem sie sich traf«, sagte sie leise.
»Großer Gott, heißt das, sie ruft jetzt nach ihm?« fragte Pamela.
»Ich weiß es nicht. Wenn nur das Foto, das sie mir versprochen hatte, noch hier wäre«, sagte Susan. »Ich wette, sie hat es in diesem Ordner aufbewahrt.« Ihr Blick wanderte über den Schreibtisch, als werde das Foto sich dort plötzlich materialisieren. Dann entdeckte sie neben einer kleinen Schere einen Schnipsel hellblauer Pappe.
»Hat Carolyn eine Zugehfrau?« fragte sie.
»Ja, sie kommt montags und freitags von acht bis elf.
Warum?«
»Weil Carolyn mich kurz vor zwölf angerufen hat. Beten Sie, daß …« Susan beendete den Satz nicht und holte den Papierkorb unter dem Schreibtisch hervor. Sie schüttete den Inhalt auf den Teppich. Schnipsel aus blauer Pappe fielen heraus – und ein Foto mit schiefem Rand.
Susan hob es auf und betrachtete es. »Das ist Carolyn, mit dem Kapitän des Schiffes, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Pamela, »aber warum hat sie es zerschnitten?«
»Vermutlich wollte Carolyn nur den Teil des Fotos schicken, auf dem der Mann zu sehen war, der ihr den Türkisring schenkte. Sie wollte nicht in die Sache verwickelt oder selbst erkannt werden.«
»Und jetzt ist der Teil verschwunden«, sagte Pamela.
»Er mag verschwunden sein.« Susan setzte die Schnipsel aus Pappe zusammen. »Aber schauen Sie her. Der Name der Londoner Firma, die für die Fotos zuständig war, ist hier aufgedruckt, und da steht eine Adresse, unter der man Abzüge nachbestellen kann.«
Sie schob den Stuhl zurück und stand auf. »Ich werde bei der Firma anrufen, und wenn sie das Negativ dieses Fotos noch haben, werde ich es bekommen. Pamela« –
ihre Stimme hob sich vor Aufregung – »wissen Sie eigentlich, daß wir möglicherweise dicht davorstehen, die Identität eines Serienmörders aufzudecken?«
71
Nat Small war ein wenig überrascht, wie sehr ihm sein Freund und Kollege Abdul Parki fehlte. Noch vor drei Tagen, am Montag morgen, als Parki draußen vor seinem Laden den Gehsteig gefegt hatte, war er hinausgegangen, hatte seinen Namen gebrüllt und spaßeshalber vorgeschlagen, er solle doch mit dem Besen rüberkommen und auch den Gehsteig vor dem »Dark Delights« auf Hochglanz bringen.
Parki hatte sein scheues kleines Lächeln aufgesetzt.
»Nat, du weißt ja, ich tue dir gern jeden Gefallen, um den du mich bittest, aber ich glaube, um in deinem Geschäft sauberzumachen, braucht es mehr als mich und meinen Besen«, war seine Antwort gewesen. Sie hatten beide herzlich gelacht. Dann, am Dienstag, hatte er Parki wieder draußen gesehen; diesmal fegte er, weil irgendein dummer Junge überall Popcorn verstreut hatte. Danach war Schluß; Parki war ihm nie wieder begegnet. Es ärgerte Nat, daß sowohl die Polizei als auch die Medien Parkis Tod so wenig Beachtung schenkten. Sicher, der Mord war in den Lokalnachrichten erwähnt worden, und man hatte flüchtig den Laden gezeigt, aber am gleichen Tag war ein großer Mafiaboß verknackt worden, und das hatte Vorrang. Nein, Parki interessierte eigentlich niemanden besonders:
»Vermutlich ein Fall von Beschaffungskriminalität«, so hieß es, und alle schienen es nur zu gern dabei belassen zu wollen.
Seitdem waren zwei Tage vergangen, und der Khyem Geschenkshop wirkte ganz und gar verlassen. Man könnte meinen, er sei seit Jahren geschlossen, sagte Nat sich.
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