Nimm doch einfach mich
Marmorboden, in der man sich fühlte wie in einem luftigen Strandhaus in Santa Monica – krasser hätte der Kontrast zu dem düsteren Jagdschloss-Arbeitszimmer nicht ausfallen können. Wie konnte ein so erfolgreicher Immobilieninvestor einen so unterirdischen Geschmack haben? »Setzt euch, setzt euch!«, befahl er.
»Vielen Dank für die Einladung, Dick.« Jack lächelte zwischen zusammengebissenen Zähnen. Sein Name kam ihr selbst nach all den Jahren nur schwer über die Lippen. Warum musste jemand, der so feist war, auch noch ausgerechnet Dick heißen?
»Wie geht's dir, Schätzchen? Lassen sie dich in deinem Tutu-Unterricht tanzen, bis die Zehen bluten?«, erkundigte sich Dick besorgt, als alle um den riesigen Holztisch Platz genommen hatten. »Oder kümmert sich mein Sohn nicht gut genug um dich? Du siehst ziemlich mitgenommen aus!« Er betrachtete Jack mit zusammengekniffenen Schweinsäuglein.
»Nein, nein. Alles bestens«, murmelte Jack. Wie hatte sie nur so blöd sein können, sich auf dieses Frühstück mit
J.P.s Familie einzulassen?
»Jack geht es nicht so gut. Ihre Mutter hat ihr gestern erzählt, dass sie wieder nach Paris ziehen will«, erklärte
J.P. arglos. Jack warf ihm einen finsteren Blick zu. Ganz sicher hatte sie keine Lust, ihr verkorkstes Leben vor all diesen Leuten auszubreiten. Es war schon schwer genug, ohne neugierige Mitwisser damit fertig zu werden. Roger schenkte Kaffee ein und stellte einen Korb mit Scones in die Tischmitte. Jack dachte fieberhaft darüber nach, wie sie so schnell wie möglich aufstehen und sich entschuldigen könnte, ohne völlig unhöflich zu wirken.
»Ach ja? Sie will nach Paris ziehen?«, dröhnte Dick, als seine Frau Tatiana mit zwei winzigen Puggles im Arm in die Küche kam. Tatiana war ein Ex-Supermodel aus Russland und hatte seit ihrer Glanzzeit ungefähr fünfundzwanzig Kilo zugenommen, wobei sich ihre Körbchengröße wahrscheinlich vervierfacht hatte. Sie trug zwar noch einen roten Seidenkimono, aber ihre Haare waren bereits zu einem kunstvollen Turm hochgesteckt, und sie hatte so viel Lippenstift aufgelegt, als wäre es noch 1988 und sie würde gleich auf den Catwalk treten.
»Wer zieht nach Paris?«, fragte sie mit ihrem schweren russischen Akzent, nahm ein Scone aus dem Körbchen und schob es sich in einem Stück in den Mund. Ein paar Krümel blieben auf ihrem knallroten Lippenstift kleben, und einer der Hunde fing an, bettelnd zu winseln.
»Meine Mutter. Sie muss beruflich hin und will, dass ich mitkomme«, erklärte Jack knapp und hätte J.P. dafür, dass er nicht die Klappe gehalten hatte, am liebsten mit einer Gabel erstochen.
»Aber Jackie-Schätzchen, du kannst unmöglich aus New York weggehen. Du bist New York.« Dick zwinkerte ihr ungefähr zum zwanzigsten Mal in zehn Minuten zu. Plötzlich nahm sein Gesicht einen noch satteren Rotton an und er klatschte in die Hände. »Ich hab die perfekte Lösung! Du weißt ja, dass wir das Penthouse der Cashman-Lofts im Moment als Showroom benutzen – und was würde der Hütte zu mehr Glamour verhelfen als eine hübsche kleine Lady, die darin lebt?«
»Sie ist perfekt.« Tatiana beugte sich vor und taxierte Jacks Gesicht, als sei sie eine Rennstute. Jack stieg ihr großzügig aufgesprühtes süßes Parfum in die Nase, und sie presste sich verstohlen eine Hand auf den Mund, um ein Würgen zu unterdrücken. »Sie kann das Gesicht der Cashman-Lofts werden. Eleganz und Moderne. Darum geht es doch, oder? Sie ist die Richtige dafür!«
Jack blinzelte. Wovon redeten die beiden? Wozu sollte ein Gebäude ein Gesicht brauchen?
»Stimmt … das könnte funktionieren«, schaltete sich nun auch Candice ein und nickte Jeannette zu. Oder war es vielleicht Jeannette, die Candice zunickte? Egal. Mit ihren schulterlangen Fönfrisuren, den gebotoxten Stirnen und den knochig hervorstehenden Schlüsselbeinen sahen die beiden wie eineiige Zwillinge aus. Sie zogen synchron ihre BlackBerrys heraus und begannen wild zu tippen.
»Was sagst du dazu, Jackielein? Möchtest du ins Penthouse der Cashman-Lofts ziehen und das Gesicht für ›Grünes Wohnen‹ werden?«
Jack starrte Dick ungläubig an. Er wollte, dass sie in die Cashman-Lofts zog? Sie würde nicht mit ihrer hysterischen Mutter nach Paris gehen müssen?
»Äh … liebend gern«, hauchte sie vollkommen überwältigt. Am liebsten wäre sie allen um den Hals gefallen, sogar J.P.s abgeschmackter Mutter und Dicks Robo-Assistentinnen.
»Sehr schön, sehr schön. Das
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