Nimm doch einfach mich
Cafeteria konnte sie auf keinen Fall zurückgehen und ihr Magen knurrte erbärmlich. Wenn sie jetzt nichts aß, würde sie im Englischkurs nach der Pause zusammenbrechen, und dann würden alle sie auch noch für magersüchtig halten.
Sydney kam mit einem triumphierenden Lächeln und zwei in Folie gewickelten Falafelsandwiches zurück.
»Hier – fang!« Sie warf Avery eines davon zu.
»Danke.« Avery wickelte das dampfende Sandwich aus der Folie. Die beiden Falafelbällchen, die zwischen welken Eisbergsalatblättern in dem Stück Pita steckten, sahen aus wie zwei frittierte Dreckklumpen.
»Sydney, das eben war echt …«, versuchte sie sich unbeholfen zu bedanken. Vermutlich brach sie sich keinen Zacken aus der Krone, wenn sie Sydney wissen ließ, dass sie ihre Hilfe zu schätzen wusste.
»Bloß weil du gemerkt hast, dass du hier keine Freundinnen hast, musst du dich jetzt nicht bei mir einschleimen.« Sydney grinste breit und Avery konnte ihr Zungenpiercing in der Mittagssonne glitzern sehen. »Spar dir den Scheiß. Ich hab's gemacht, weil ich deine Schwester mag und glaube, dass unter deinem Zweihundert-Dollar-Haarreif ein gewisses Potenzial steckt.« Sie zuckte mit den Schultern und biss hungrig in ihren Falafel.
»Danke«, sagte Avery verwirrt. Sydney gab ihr das Gefühl, genauso hohl und fies zu sein wie Jack.
»Schon okay.« Sydney hielt mitten im Kauen inne und schaute mit zusammengekniffenen Augen zur Eingangstür der Constance Billard. »Ist das nicht deine Schwester?«, fragte sie und rief dann fröhlich: »Hey, du Miststück!«
»Oh mein Gott! Dich hab ich ja schon eine Ewigkeit nicht mehr gesehen!« Baby sprang die Treppe herunter und fiel Sydney um den Hals. »Du hast mir mit dem Ran cor – Projekt so was von den Arsch gerettet. Dafür hast du was gut bei mir. Du kriegst, was du willst! Brauchst du ein neues Piercing? Oder ein Tattoo?« Plötzlich fiel Babys Blick auf Averys noch unberührtes Falafelsandwich. »Mhmm, lecker!« Sie nahm es ihrer Schwester aus der Hand und biss gierig hinein.
»Noch ein Tattoo wär vielleicht ganz cool.« Sydney schien ernsthaft über Babys Angebot nachzudenken. »Sollen wir gleich losgehen?«
»Geht nicht. Ich muss zu meiner Therapie.« Baby zuckte lustlos die Achseln. »Ich versuch's heute mal mit einer neuen Therapeutin. Aber wie wär's mit nachher?«, fragte sie. »Ich wollte schon immer einen kleinen Fisch auf dem Knöchel.«
Avery sagte nichts und schaute nur finster. Seit wann wollte Baby ein Tattoo?
Vielleicht seit sie sich auf die Reise zu ihrem Innersten aufgemacht hat?
»Genial!« Sydney nickte zustimmend. »Ein Fisch ist ein Supersymbol, das auf ganz vielen Ebenen funktioniert. Und die Therapie wird dir bestimmt guttun. Meine Mutter ist Therapeutin und liegt Mrs McLean schon seit einer halben Ewigkeit in den Ohren, weil sie diese lahmen Waldwanderungen, die den Gemeinschaftsgeist und die Teamfähigkeit fördern sollen, gern ein bisschen aufpeppen würde.«
»Okay. Ich sollte langsam mal los. Ich will nicht zu spät kommen.« Baby hielt nach einem freien Taxi Ausschau und biss noch einmal von Averys Sandwich ab.
»Vielleicht legst du es ja gerade darauf an, zu spät zu kommen …«, sagte Sydney mit vollem Mund. »Meine Mutter sagt immer, dass unser Unterbewusstsein ein kleines manipulatives Arschloch ist.« Sie sah Avery an. »Genau deshalb willst du nämlich auch Jack Laurents beste Freundin werden, obwohl du dich dafür hasst. Wahrscheinlich wirst du eines Tages sogar ihre Brautjungfer und träumst von einer heißen Affäre mit ihrem Angetrauten … was du in Wirklichkeit natürlich niemals machen würdest.« Sydney grinste zufrieden, als sie sah, wie Averys Gesichtszüge erstarrten.
»Tja dann … ich muss wieder rein.« Avery ging mit steifen Schritten ins Schulgebäude zurück.
»Hey, jetzt sei doch nicht sauer! Tut mir leid!«, rief Sydney hinter ihr her, klang aber überhaupt nicht so, als würde es ihr leidtun. Sie drehte sich zu Baby um. »Gott, ich liebe es, deine Schwester fertigzumachen! Es ist so leicht!«, staunte sie.
Baby nickte grinsend. Sydneys kompromisslose und direkte Art erinnerte sie an die Zeit, als ihr eigenes Leben noch nicht so kompliziert gewesen war. Als sie noch nicht jede Woche ins Büro der Rektorin zitiert worden war, sich niemand über ihren Klamottenstil lustig gemacht hatte und es noch kein Verbrechen gewesen war, abenteuerlustig und spontan zu sein. Sie seufzte und spürte, wie ihre Laune in den Keller
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