Nimm doch einfach mich
wissen, ob du nun am Wochenende zu der Hochzeit mitkommst. Es gibt eine Menge Leute, die dich entsetzlich gern sehen würden«, zwitscherte Lady Sterling, als sie in sein Zimmer trat. In der einen Hand hielt sie einen Pizzakarton von Domino, mit der anderen drückte sie sich Estella, einen ihrer vielen Corgis, an die Brust. Zumindest vermutete Rhys, dass es Estella war – die Köter waren kaum auseinanderzu halten. Normalerweise lebten die Corgis in einem großzügigen Freigelände auf einem Anwesen der Sterlings in Bedford, aber von Zeit zu Zeit holte Lady Sterling einen von ihnen nach New York, um eine Sendung mit ihm zu drehen.
»Die ist für mich.« Rhys schwang sich aus dem Bett und nahm seiner Mutter den Pizzakarton aus der Hand. Früher hatte er nie Domino-Pizzas gegessen, aber in seinem bekifften Zustand erschien ihm diese Pizza als die Erfüllung seiner sehnlichsten Wünsche. Es war, als wäre sein Leben erst komplett, wenn er eine Salami-Ananas-Pizza essen könnte. Und da war sie! Rhys stellte den fetttriefenden Karton auf seinen Schreibtisch und betrachtete ihn mit einem zärtlichen Lächeln. Estella dagegen winselte, als könnte sie es kaum ertragen, von der Pizza getrennt zu werden.
»Du hast die bestellt? Ich dachte, es wäre ein Versehen gewesen …« Lady Sterling schüttelte traurig den Kopf und ihre goldenen Cartier-Ketten klirrten leise aneinander.
»Danke, Mom!« Rhys hoffte, sie damit aus dem Zimmer zu komplimentieren. Glücklicherweise überlagerte der Duft von Salami und Käse anscheinend den süßlichen Geruch nach Gras, der – da war Rhys sich sicher – im Zimmer hing.
»Aber Schatz! Du hättest dir doch schnell etwas von Rodica machen lassen können.« Lady Sterling runzelte die Stirn. Rodica war ihre resolute rumänische Haushälterin und der einzige Mensch auf der Welt, der Lady Sterling Kontra gab.
»Na gut«, seufzte sie schließlich. »Wahrscheinlich muss ich mich einfach daran gewöhnen, dass mein süßer kleiner Junge langsam erwachsen wird, nicht wahr, Estella?«, gurrte sie der Corgidame ins Ohr, die sich in ihren Armen wand und verzweifelt versuchte, an die Pizza zu gelangen.
»Noch mal vielen Dank, Mom!«, wiederholte Rhys und betete, dass sie den Wink diesmal verstehen und endlich abziehen würde.
Stattdessen hielt sie die Nase in die Luft und schnupperte argwöhnisch. »Hast du hier irgendetwas angepflanzt? Es riecht fast ein bisschen wie in einem Kräutergarten.«
Woher das wohl kommt?
Rhys zuckte unbehaglich mit den Schultern. »Äh, nein.« Er war am Verhungern. Der durch den Karton dringende Käseduft brachte ihn fast um.
»Na schön. Dann werde ich mich mal daran machen, alles Notwendige für unsere Reise über den großen Teich zu packen. Mir wäre wirklich sehr daran gelegen, wenn du dich dazu entschließen könntest, uns zu begleiten. Dein Vater und ich haben uns überlegt, dass wir uns alle gemeinsam ein paar Internate für dich anschauen könnten. Das wäre vielleicht genau das Richtige für dich – auch wenn ich dich natürlich entsetzlich vermissen würde …« Lady Sterling verstummte.
»Mir geht es inzwischen wieder gut, ehrlich«, sagte Rhys und nickte bekräftigend. Und es stimmte. Seit er die Leute von der Darrow School kennengelernt hatte, schien sein Leben so viel leichter geworden zu sein.
Kunststück, wenn man alles Unangenehme einfach wegraucht …
»Ach ja? Nun gut. Vielleicht sehen dein Vater und ich uns trotzdem ein paar Schulen an. Du weißt doch, wie sehr er es liebt, in seinen alten Internatserinnerungen zu schwelgen.« Sie schüttelte mit liebevoller Strenge den Kopf. »Du kannst übrigens ruhig ein paar deiner Schwimm kameraden zu einer kleinen Party hierher einladen, während wir nicht da sind. Du bist zwar nicht mehr in der Mannschaft, aber schließlich bist du schon seit Jahren mit diesen Jungen befreundet, und du siehst aus, als könntest du eine kleine Aufmunterung gebrauchen. Rodica wird euch bestimmt ein paar Leckereien zubereiten.« Sie sah ihren Sohn zärtlich an. »Ich weiß, dass in letzter Zeit alles ein bisschen hart war für dich.«
Wenn sie wüsste.
»Danke, Mom.« Rhys nickte und blickte erst wieder auf, als er die Prada-Ballerinas seiner Mutter auf dem Kirschholzparkett im Flur hörte. Er sprang auf, drückte die Tür zu und schloss sie vorsichtshalber auch noch ab.
Anschließend kehrte er zum Schreibtisch zurück, hob mit fast feierlichem Ernst den Deckel des Kartons an und atmete den würzigen Pizzaduft tief
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