Nimm doch einfach mich
Tassen passten nicht zusammen und waren angeschlagen. Auf der von Baby stand in verschnörkelter Schrift »Die beste Oma der Welt« . Lynn griff nach dem Kännchen und schenkte ihnen ein.
»Na ja, ich war in Nantucket mit einem Typen zusammen und dachte, wir würden uns lieben und alles, aber dann bin ich hierhergezogen und hab angefangen, mich mit einem total netten Typen zu treffen, aber wir waren einfach zu verschieden, also haben wir uns wieder getrennt, und dann bin ich einem anderen Typen nach Barcelona hinterhergereist, dabei war der gar nicht dort, und deswegen muss ich jetzt eine Therapie machen – ich hab nämlich wegen dem Barcelona-Trip eine Woche die Schule geschwänzt«, schloss Baby ihre etwas wirren Ausführungen. Sie hoffte, dass ihre wechselnden Liebesgeschichten sie vor Lynn nicht wie eine Schlampe dastehen ließen.
»Mrs McLean verlangt von dir, eine Therapie zu machen? Interessant.« Lynn lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und musterte Baby nachdenklich.
»Ja, aber irgendwie finde ich nicht die richtige Therapeutin für mich. Ich meine, ich hab grundsätzlich nichts gegen Therapien – ich hab nur das Gefühl, dass sowieso niemand rausfindet, was mit mir los ist. Oder glauben Sie, dass Sie das vielleicht könnten?« Baby kaute nervös am ausgefransten Ärmel ihres Sweatshirts.
»Wie lange hast du dieses Sweatshirt eigentlich schon?«, fragte Lynn, ohne auf Babys Frage einzugehen.
»Das hat meinem Ex-Freund gehört. Es ist schön warm«, antwortete Baby irritiert. Die Herkunft oder das Alter des Sweatshirts taten ja wohl wirklich nichts zur Sache. Sie nahm einen Schluck von ihrem Oolong.
»Schmeiß es weg.« Lynn nickte bestimmt. Baby runzelte die Stirn. Wie bitte? Sie griff kopfschüttelnd nach ihrer Tasche, um den Tee zu bezahlen. Sie hatte keine Lust, hier sitzen zu bleiben und sich weiter diesen Quatsch anzuhören. Eigentlich hätte sie sich gleich denken können, dass sie wieder nur ihre Zeit verschwendete.
»Sydney hat mir erzählt, dass du mein Buch gelesen hast«, sagte Lynn und beobachtete amüsiert, wie Baby immer wütender wurde. »Es steht alles im dritten Kapitel. Ich glaube nicht, dass irgendetwas mit dir nicht stimmt. Ich vermute eher, dass es in deinem Leben ein paar Dinge gibt, die dich ausbremsen. Du musst das Leben umarmen und von ganzem Herzen annehmen, und zwar jetzt in diesem Moment. Liebe dich so, wie du bist! Wofür steht dieses Sweatshirt?«
Baby sah auf den zerschlissenen Bund des Ärmels hinun ter. Ihr Ex-Freund Tom hatte auch immer darauf herum gekaut. Und zwar meistens in Situationen, in denen er gelogen hatte. Eigentlich war es eine ekelhafte Angewohnheit gewesen und gar nicht liebenswert, wie sie immer gedacht hatte.
»Hm, wahrscheinlich für Nantucket. Und dafür, dass ich einen Freund hatte. Dass ich als die akzeptiert wurde, die ich war.« Baby zuckte mit den Achseln. Sie hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, ob irgendwelche Kleidungsstücke einen symbolischen Wert für sie hat ten. Eigentlich bedeutete ihr materieller Besitz überhaupt nichts. »Kann es sein, dass das der Grund ist, warum ich mich selbst nicht finde?«, fragte sie.
»Jedenfalls hilft dir dieses Shirt nicht bei der Suche nach dir selbst!«, rief Lynn so laut, dass ein paar Leute am Nebentisch neugierig zu ihnen herüberstarrten. »Ich sag dir was, Liebes. Geh nach Hause und entmiste deinen Kleiderschrank. Schmeiß alles raus, was sich nicht wirklich nach dir anfühlt.« Lynn nickte nachdrücklich.
Wenn man bedenkt, dass der halbe Inhalt ihres Schranks eigentlich ihrer Schwester gehört, wird nach dem Entmisten wohl nicht mehr viel übrig bleiben …
»Und Sie meinen, das funktioniert?«, fragte Baby leise und wünschte sich im gleichen Moment, sie könnte die Frage zurücknehmen. Sie wollte nicht, dass Lynn sie für unhöflich hielt. Es war nur … dieser Vorschlag kam ihr so offensichtlich vor. So einfach.
»Ich bin hier die Expertin, Baby. Nimm nicht alles so schrecklich ernst – genieße dein Leben! Ach so, was übrigens auch ganz wichtig ist: Sobald der alte Plunder draußen ist, musst du Ordnung schaffen. Pastelltöne zu Pas telltönen. Schwarz zu Schwarz. Jeans zu Jeans. Die kurzärmligen Sachen hier, die langärmligen dort.« Lynn sah Baby scharf an, als wollte sie sich vergewissern, dass sie ihr auch wirklich zuhörte. »Ein kleines bisschen Ordnung ins System zu bringen hat noch niemandem geschadet«, fügte sie hinzu und biss in einen Keks.
»Ich hab nichts
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