Nimm doch einfach mich
Sofas im Zebra- und Leopardenprint hindurch. Avery konnte auch ein paar falsche Giraffen und Zebras entdecken, die neben den Gästen in ihren edlen Designerklamotten ziemlich verloren wirkten – wahrscheinlich irgendwelche armen Studenten, die sich in den dicken Fell kostümen zu Tode schwitzten.
»Ich möchte, dass Sie Augen und Ohren für mich offen halten«, flüsterte James, in dem plötzlich der Jagdinstinkt des Reporters erwacht zu sein schien. »Auf solchen Partys bringen sich Leute leicht in Schwulitäten, wenn Sie wissen, was ich meine.« Avery nickte, obwohl sie keine Ahnung hatte, wovon er redete. Schwulitäten? War das vielleicht irgendein spezieller schottischer Journalistenjargon, den sie nicht verstand?
Oder hat da jemand einfach nur eine schmutzige Fantasie?
»Lassen Sie Jack keine Sekunde aus den Augen und beobachten Sie genau, mit wem sie sich unterhält und wo sie nach der Party hingeht. Wenn es sein muss, folgen Sie ihr bis aufs Klo. Seien Sie so freundlich und unbe fangen wie möglich. Sie soll sich in ihrer Gegenwart ganz sicher fühlen und unbedacht vor sich hin plappern – so als würde sie mit sich selbst reden, verstehen Sie? Betrachten Sie das Ganze als Crashkurs in Journalistik, Süße.« Er reichte Avery ein Glas Champagner, das er vom Tablett eines vorbeigehenden Kellners genommen hatte. »Und jetzt seien Sie ein braves Mädchen und machen Sie mir alle Ehre. Ich muss jetzt leider meinen gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen.« Er schüttelte betrübt den Kopf.
»Natürlich«, sagte Avery benommen. Warum wollte er den Abend nicht mir ihr verbringen? Und erwartete er tatsächlich von ihr, dass sie Jack auf Schritt und Tritt folgte? Sie hatte große Zweifel daran, ob sie sie in der überfüllten Lobby überhaupt finden würde.
»Also dann, Kleines, viel Glück. Glauben Sie, dass Sie das hinkriegen?«, fragte James, stolzierte dann aber, ohne eine Antwort abzuwarten, durch die Menge Richtung VIP-Lounge davon.
»Bio-Lammburger?« Ein Kellner im Smoking hielt Avery ein Silbertablett unter die Nase. Sie nahm sich einen der Mini-Burger und biss unglücklich hinein. Plötzlich erschien ihr James gar nicht mehr wie ein charmanter Party-Begleiter, sondern eher wie ein egozentrischer Reporter, der sie für seine Story die Drecksarbeit machen ließ.
»Avery!« Ticky kam in ihren berüchtigten dreizehn Zentimeter hohen glitzernden Stöckelschuhen von Miu Miu auf sie zugewankt und hinterließ eine Spur funkelnder Pailletten. Nur sie konnte es sich erlauben, auf gesellschaftlichen Anlässen immer wieder in denselben Schuhen aufzutauchen. Ihr war völlig egal, was andere über sie dachten, und sie hielt sich für so fabelhaft, dass für sie selbstverständlich nur funkelnde Schuhe in Frage kamen.
Selbstverständlich.
Der Mann, bei dem sie sich untergehakt hatte, war ungefähr fünfzehn Zentimeter kleiner und schätzungsweise zwanzig Jahre jünger als sie. Er hatte sorgfältig frisierte gelblich weiße Haare und trug einen weißen Anzug, den es in seiner kleinen Größe mit Sicherheit nicht von der Stange gegeben hatte. »Avery, meine Liebe, darf ich Ihnen den berühmten Designer Bailey Winter vorstellen. Der Gute hat sich bereit erklärt, mir altem Schlachtschiff heute Abend überallhin zu folgen!«, rief Ticky.
»Ich wüsste nicht, wem ich lieber folgen würde, Darling!«, schmeichelte Bailey Winter ihr und wedelte affektiert mit der Hand durch die Luft.
Avery lächelte zaghaft. Sie wusste, dass Bailey Winter ein einflussreicher Modedesigner war, und wäre normalerweise hin und weg gewesen, ihn kennenzulernen. Aber nachdem James sie sitzen gelassen hatte, fühlte sie sich auf einmal total unsicher. Womöglich dachte Ticky, dass es ein Fehler gewesen sei, sie auf die Story anzusetzen, weil sie einfach nicht Metropolitan genug war.
»Hallo«, brachte sie schließlich in dem Moment heraus, in dem McKenna atemlos angerannt kam. Sie hatte Tickys silberne Prada-Clutch in der einen und Bailey Winters riesige schwarze Collegetasche – ebenfalls von Prada – in der anderen Hand und das gleiche dämliche Headset auf dem Kopf wie Gemma.
»Sie sind ja ganz allein, Avery!«, stellte Ticky fest und beugte sich vor, um die Luft neben ihren Wangen zu küssen. Sie roch nach Zigaretten, Scotch und den Karamellbonbons, die Averys Großmutter früher immer gelutscht hat.
»Meine Güte, Avery, Sie Ärmste. Aber wenigstens konnten Sie sich mit etwas Essbarem trösten!« McKenna lächelte
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