Nimm doch einfach mich
»Ich gehe mal nachschauen, ob die Dame von Harper's schon fertig ist. Kann ich in der Zwischenzeit vielleicht noch irgendetwas für Sie tun?«
Avery schüttelte den Kopf, ohne den Blick von Jacks Plakat abwenden zu können. Natürlich war es ihr Job und der einzige Grund, aus dem sie hier war – aber sie konnte es immer noch nicht wirklich fassen, dass sie gleich Jack interviewen musste.
»Avery!«, hörte sie plötzlich eine eisige Stimme.
Als sie sich umdrehte, sah sie Jack allein in der Terrassentür stehen. Ihre kastanienbraunen Haare fielen offen über ihre Schultern. »Hi, Jack«, sagte sie steif.
»Na los, bringen wir's hinter uns. Gott! Ich kann es echt nicht fassen, dass die mich von einer Praktikantin intervie wen lassen«, schnaubte Jack. Sie hatte bei ihrer Ankunft vorhin zwar kurz ein Mädchen, das sie an Avery erinnert hatte, mit einem älteren Typen gesehen, war sich aber sicher gewesen, dass es sich nur um eine zufällige Ähn lichkeit gehandelt hatte. Denn warum bitte schön hätte ausgerechnet Avery Carlyle auf der Eröffnungsparty der Cashman-Lofts eingeladen sein sollen? Einem Event, das so exklusiv war, dass noch nicht einmal Jack selbst ihre Freundinnen auf die Gästeliste setzen durfte? Und jetzt stellte sich auch noch heraus, dass Avery ein Interview mit ihr führen würde.
»Schön, dass du kurz Zeit hast, dich mit mir, oder besser gesagt, mit der Metropolitan zu unterhalten«, begann Avery und hätte sich am liebsten geohrfeigt, weil sie so gekünstelt klang. Sie dachte an das, was James gesagt hatte: Sie sollte Jack in Sicherheit wiegen, um möglichst viel zu erfahren. Obwohl sie jetzt wusste, dass er ein unhöflicher, egozentrischer Aufreißer war, witterte sie ihre Chance, Ticky und ihn zu beeindrucken. »Sag mal, wie schaffst du es bloß, das alles hinzukriegen, ohne dabei völlig durchzudrehen?« Sie lächelte und hoffte, dass sie Jack auf die freundliche Tour zum Reden bringen würde. »Also ich würde verrückt werden.«
»So schlimm ist es dann auch wieder nicht.« Jack verdrehte die Augen. Das konnte doch unmöglich Averys Ernst sein! Andererseits war ihr Leben wahrscheinlich wirk lich so langweilig, dass sie mit so viel Glamour heillos überfordert wäre. »Wo hast du denn deinen Freund von vorhin gelassen?«, fragte sie, als ihr der ältere Typ einfiel, mit dem sie Avery gesehen hatte.
Avery zuckte zusammen, antwortete dann aber ganz gelassen: »Ich habe keinen Freund«, und konterte dann: »Aber wo hast du eigentlich deinen Freund gelassen?«
»Ich brauchte mal kurz eine Minute ohne ihn«, sagte Jack gereizt und zog an ihrer Zigarette. »Willst du auch eine?« Sie kramte eine Packung Merits aus ihrer golde nen Stepptasche von Louis Vuitton, obwohl sie genau wusste, dass Avery ablehnen würde. Genau das war es, was sie an dieser Ziege so wahnsinnig machte. Wenn sie nur nicht immer so verdammt rechtschaffen wäre. Hof fentlich würde der Zigarettenqualm sie um die Gesund heit ihrer reinen Lungen bangen und schnell das Weite suchen lassen.
»Gerne.« Avery streckte die Hand aus und lächelte. Jack zog eine Augenbraue hoch. Avery war also ausnahms weise auch mal für eine positive Überraschung gut. Sie zündete die Zigarette an ihrer eigenen an und reichte sie dann an Avery weiter.
In diesem Moment ging die Terrassentür auf und Jeannette streckte den Kopf heraus. »Hier sind noch ein paar andere Journalisten, die gern mit Ihnen sprechen würden, Jack. Ob es bei Ihnen beiden wohl noch lange dauert?«, fragte sie und rümpfte beim Anblick der Zigaretten die Nase.
»Nein, nein«, antwortete Avery hastig.
»Doch«, fiel Jack ihr ins Wort. »Wir haben ja noch nicht mal richtig angefangen.«
Avery runzelte die Stirn. Wollte Jack sich etwa noch län ger mit ihr unterhalten?
»Na schön.« Jeannette presste missbilligend die Lippen aufeinander.
»Nimm's nicht persönlich, aber diese Interviews sind echt ätzend«, seufzte Jack, nachdem Jeannette wieder verschwunden war. »Für heute habe ich definitiv genug.«
»Ist schon okay. Ich weiß eigentlich sowieso nicht, was ich hier mache«, gestand Avery.
»Tja, da geht's dir wie mir.« Jack zuckte mit den Schultern und nahm noch einen Zug von ihrer Zigarette. »Ich sag dir was. Du kannst froh sein, dass du keinen Freund hast.« Sie dachte an die Zeit zurück, in der sie noch tun und lassen konnte, was und mit wem sie wollte.
Wann soll das gewesen sein? In der einen Woche, in der sie kurz mal Single war?
»Wie meinst du
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