Nimm mich
es im Grunde unmöglich, sie emotional auf Distanz zu halten. Jessie brachte ihn zum Lachen. Und jedes Mal, wenn sie zusammen waren, spürte er, wie er weich und offen wurde. Er war sich nicht sicher, ob ihm das gefiel, wusste allerdings auch nicht, was er dagegen unternehmen sollte.
Am liebsten hätte er sie fest an sich gedrückt und nie mehr losgelassen. Mit diesem wertvollen Schatz war er die ganze Zeit so selbstgefällig und gedankenlos umgegangen. Bis er Jessie plötzlich so schwach und blass erlebt hatte.
Erst da war ihm schlagartig und schmerzhaft bewusst geworden, dass er Jessie im Gegensatz zu seinen Kunstwerken verlieren konnte. Durch Geschehnisse, die nicht einmal er ändern konnte, die nicht verhandelbar oder gar mit Geld zu ändern waren.
9. KAPITEL
Obwohl Jessie etwas von ihrer Bräune verloren hatte, schien sie vor Gesundheit zu strotzen. Als sie sich in ihrem Sitz nach vorne beugte, ganz vertieft in das Geschehen auf der Bühne, wurde ihr Gesicht von den Schweinwerfern erhellt. Joshua musste lächeln, als er sah, wie sie ihre Lippen zum Text der Musik bewegte. Sie waren allein in der Loge, und so konnte er dem Bedürfnis nicht widerstehen, mit den Fingern eine Spur über ihren nackten Rücken zu ziehen und sie dann unter ihren wilden Locken im Nacken liegen zu lassen. Sie trug ein orangefarbenes Kleid, dessen Träger auf dem Rücken gekreuzt waren. Die langen Korallenohrringe klimperten leise, als er sie berührte.
Jessie drehte sich um und schenkte ihm ein Lächeln, das ihn direkt ins Herz traf. Sein Griff verstärkte sich ein wenig. „Das Phantom ist absolut fantastisch“, flüsterte sie. Ihre Augen funkelten. „Vielen Dank, dass du mich mitgenommen …“
Sie war verdammt noch mal einfach unwiderstehlich. Er küsste sie. Nicht so, wie er es am liebsten getan hätte, denn dann hätte man sie vermutlich umgehend aus dem Theater geworfen. Er streichelte nur mit der Zunge über ihre Lippen. Die Armlehne des Plüschsessels grub sich in seine Rippen.
Plötzlich war die Aufführung, war die Musik vergessen. Sie stöhnte, als er den Saum ihres Kleides nach oben schob und eine Hand auf ihren Schenkel legte.
Das Publikum applaudierte, die Lichter gingen zur Pause an. Hastig lösten sie sich voneinander, und Jessie musste kichern. Joshua strich sich verärgert die Haare glatt. Doch dann konnte er ein Lächeln nicht unterdrücken.
„Eines Tages wirst du noch verhaftet“, sagte er mit tiefer Stimme.
Jessie riss in gespielter Empörung die braunen Augen auf. „Wieso ich?“ Sie zog sich das Kleid über die Knie. „Ist nicht meine Schuld, dass du nicht die Finger von mir lassen kannst.“
„Ist es doch.“ Joshua befreite einen Ohrring aus ihrem wirren Haar. „Was soll ich nur zum Teufel mit dir machen, Jess? Sobald ich in deiner Nähe bin, führe ich mich auf wie ein liebeskranker Schuljunge.“ Und wenn er nicht in ihrer Nähe war, dann auch.
Jessie fuhr mit den Fingerspitzen die Kontur seiner Lippen nach. „Und ich benehme mich wie ein liebeskrankes Schulmädchen. Na und?“ Sie stand auf und streckte ihm die Hand hin. „Heiß ist es hier. Komm, lass uns nach unten gehen und was Kaltes trinken.“
Als sie in der Lobby ankamen, war Jessie unter ihrem Make-up wieder blass geworden. Eigentlich hatte er gedacht, dass es ihr seit der Rückkehr aus Monte Carlo wieder besser ginge. Sie hatte sich jedenfalls geweigert, zum Arzt zu gehen. Es gefiel ihm nicht, wenn er sich Sorgen um sie machen musste. Er war nicht daran gewöhnt, sich um andere Leute zu sorgen.
„Ich bringe dich nach Hause.“
Jessie sah ihn scharf an. „Wieso?“
„Du siehst gerade so aus, als würdest du jeden Moment ohnmächtig werden.“
„Werde ich nicht. Es ist einfach nur sehr warm hier.“ Sie leckte sich über die Lippen. „Mir gefällt das Stück. Ehrlich, Joshua, mir geht’s gut. Lass uns ein bisschen nach draußen gehen und frische Luft schnappen. Okay?“
„Es ist eiskalt. Warte, ich hole deinen Mantel.“ Er blickte über sie hinweg. „Mist, das kann ich jetzt gar nicht brauchen.“
„Was? Wer?“ Jessie schaute sich um. „Oh, Paul und Stacie.“
Joshua sah, wie sein Cousin mit seiner Frau auf sie zusteuerte. Paul war ein ganz netter Kerl, wenn man nicht gerade von ihm erwartete, dass er für sein Geld arbeitete. Er war genauso groß wie Joshua, hatte ebenfalls dunkles Haar, oft genug wurden sie für Brüder gehalten. Doch während Joshua sieben Tage pro Woche zwölf Stunden am Tag arbeitete,
Weitere Kostenlose Bücher