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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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eines Kleingewerbetreibenden. Zuerst kam die Mannschaft aus dem
Cutterraum. Ein Assistent nahm hinter dem Kommandotisch Platz und breitete mit
Amtsmiene seine Papierchen aus. Seine Chefin setzte sich in die erste Reihe,
wie es ihr zustand. Ihr Haar war glatt, mit einem strengen Scheitel und einem
gewaltigen Knoten, und ihrem Gesicht war anzusehen, daß sie weniger Belehrung
duldete als ein pensionierter Schulrat.
    Schließlich waren wir alle versammelt,
von Kirschbaum bis zur Garderobentante. Reinold kam zusammen mit den
Kameraleuten. Er warf sich neben die Cutterin in den Sitz, ohne sich umzusehen.
Der Kameramann placierte sich links neben ihm.
    »Fangt an, Kinder! Worauf wartet ihr
noch?«
    Der Knabe am Tisch flüsterte in das
Telefon. Langsam blendeten die Lichter ab, wie im richtigen Kino. Der Vorhang
schwang langsam zurück. Es flimmerte. Es kam das Firmenschild der
Kopieranstalt, dann erschienen die Arme des Klapponkels mit der schwarzen
Tafel. Der erste Streifen lief.
    Es war die Einstellung von Serkoffs
Todestag.
    Paul Carolys und Esther machten das
traurige Elternpaar der mißratenen Gaby. Jeder gab dem anderen überzeugend die
Schuld am schlechten Charakter des Kindes.
    »Von mir hat sie das nicht!« kreischte
Esther.
    »Nein! Du hast es ja auch noch!«
brüllte Paul zurück. Es war unsäglich dramatisch.
    »Gewaltig«, sagte Reinold. »Von euch
laß ich mich adoptieren. Kamera war gut. Nora — « das war die Cutterin, »wir
nehmen die zweite. Da ist die Esther mehr Furie.«
    So ging es weiter. Ich qualmte in der
Ecke still vor mich hin. Ein Streifen kam noch, dann war die Szene zwischen Gaby
und dem Jühl dran, die ich mit Elsie auf der Kiste gesehen hatte. Auf der
Leinwand war sie noch besser. Die Augen vom Jühl funkelten vor Haß gegen seinen
Vater. Es war beklemmend, wie der Bursche sich verwandelte. Gabys Geschrei bei
der ersten Aufnahme war richtig. Die erste wurde genommen.
    »Sehr schön.« Reinold drehte sich um
und sah hinter sich ins Dunkle. »Nett von euch, Kinder, daß ihr mir so wenig
Arbeit gemacht habt.«
    »Nichts zu danken«, murmelte der Jühl
neben uns.
    Ich merkte, wie Gaby ihn in die Seite
puffte.
    Es kam die nächste Streitszene, in der
Gaby mit dem Kleiderhaken kämpfte. Auch die Streifen rollten ab. Dann war es
soweit. Niemand flüsterte mehr. Alle saßen still und ziemlich aufrecht. Auf der
Leinwand erschienen die Hände mit der Klappe.
    »Zwohundertsiebzig, die erste.«
    Klapp.
    Paul kam durch die Tür und schlich auf
den Schreibtisch zu. Er zog die Schubladen auf, wühlte, ergriff die Briefe,
las. Die Wut kroch in sein Gesicht. Die Kamera kam nah heran und zeigte seinen
Kummer in Großaufnahme. Dann sank er auf seinen Stuhl und stöhnte meinen
unvergeßlichen Satz heraus. Alle warteten wir auf Reinolds Worte, als der
Streifen zu Ende war. Würde er die zweite Aufnahme noch sehen wollen, bei der
Serkoff gestorben war?
    Seine Stimme kam leise von vorn.
    »Ich muß mir den zweiten noch ansehen,
Kinder. Vielleicht ist der Anfang besser. Geht nach Hause, wer nichts mehr zu
tun hat. Ich danke euch!«
    Der Cutterassistent am Tisch ließ die
Raumbeleuchtung aufblenden. Die Reihen leerten sich schnell. Nur die Kameraleute
blieben und die Cutterin. Auch Kirschbaum ging mit hinaus. Ich hätte in
Reinolds Büro warten können, aber ich blieb sitzen. Niemand fragte nach mir.
    Die Türen schlossen sich.
    »Fangen wir an«, sagte Reinold müde.
»Der Valentin wird es uns verzeihen.«
    Langsam brachten die Widerstände die
Lampen zum Erlöschen. Dann fiel die letzte Klappe, die Serkoff gesehen hatte.
    »Zwohundertsiebzig, die zwote.«
    Der Lichtkegel des Projektors flimmerte
über meinem Kopf. Wieder erschien Pauls Gestalt auf der weißen Wand. Er sah
sich um und schritt auf den Schreibtisch zu, etwas langsamer dieses Mal. Er las
die Briefe. Die Kamera fuhr heran. Mein Herz schlug schnell und hoch bis zum
Halse.
    Dann kam es.
    Das schleifende Knirschen.
    Reinolds wütender Ausruf: »Welcher
Trottel...«
    Meine schrille Stimme.
    »Serkoff!«
    Der schmetternde Krach.
    Alles war noch mit drin gewesen. Dann
riß der Ton ab, und das Licht verlöschte auf der Leinwand.
    Um uns wurde, es hell. Reinold saß
zusammengesunken in seinem Stuhl, die Hand über den Augen. Keiner wagte, ihn
etwas zu fragen. Eine halbe Minute verging, bevor er sich rührte.
    »Es ist gut, Kinder. Wir nehmen die
erste. Aber hebt die zweite auf. Für die Polizei. Vielleicht wollen sie das
sehen.«
    Ich hatte den gleichen

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