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Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
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sie den Mund endlich geschlossen
hatte, sah sie noch einige Sekunden verzückt geradeaus. Die Kamera fuhr langsam
an ihr Gesicht heran. Es war sozusagen der. Gnadenstoß. Dann wurde abgeblendet,
die Leinwand hörte auf zu flimmern.
    Ich richtete mich auf und nahm eine
Zigarette. Der Raum blieb dunkel. Stefan rührte sich nicht. Ich brannte den
Tabak an. Dann fragte ich:
    »Soll ich Licht anmachen lassen, oder
willst du’s noch einmal sehen?«
    Stefan antwortete nicht.
    Es passierte selten, daß Stefan während
den Vorführungen einschlief. Aber vorgekommen war es schon. Ich konnte es ihm
nach fühlen.
    Ich nahm die Zigarette in die linke
Hand und stand auf. Ich hätte Licht machen können, aber sicher wartete der
Vorführer auf neue Kommandos. Aber vielleicht hatte Stefan tatsächlich nichts
gesehen, und der Kram mußte noch einmal ablaufen.
    Ich ging um die Sitze herum zur
vordersten Reihe. Über beiden Türen brannte eine kleine Notlampe. Ich sah den
Umriß von Reinolds Gestalt und tastete mich an ihn heran.
    Ich faßte zuerst seine linke Schulter.
Leises Schütteln half nichts. Ich schlug ihn kräftiger auf den Rücken. Er
knickte leicht nach rechts ein und drohte vornüberzufallen.
    »Na, nun kipp nicht gleich um, wenn man
dich wecken will«, sagte ich. »Wo sie so schön getanzt hat! Sie ist hinrei...«
    Dann stieß meine Hand gegen den Griff
des Dolchmessers, der aus Stefans Rücken ragte.
    Ich brachte das Wort hinreißend nicht
zu Ende, und ich glaubte, nie wieder ein Wort hervorbringen zu können. Ich sah
die Lampe über der Tür nicht mehr. Es wurde so schwarz um mich, als hätte es
nie ein Licht gegeben. Ich war auf dem Grunde des Ozeans ganz allein und in
grenzenloser Finsternis.
    Ich wollte fortlaufen. Ich hatte keinen
Willen und keine Kraft. Nur meine Arme fühlte ich, mit denen ich Stefan
umklammert hatte. Ich war gegen ihn gefallen, und der Tote hielt mich aufrecht.
    Die Finger meiner rechten Hand klebten
feucht aneinander, als hätte ich sie in warme Milch getaucht. Es war kein
Schweiß. Ich tastete nach Stefans Gesicht. Seine Haut war kalt, aber meine
Finger konnten sie noch wärmen. Ich streichelte ihn, seine Augen, seine Ohren,
sein Haar.
    »Stefan«, flüsterte ich, »Stefan — steh
doch auf!«
    Nur die Tränen auf meinem Gesicht
bewegten sich. Dann sprang ein greller Lichtkegel mich an. Er kam von der
hinteren Wand und riß den Toten und mich aus dem Schutz der Dunkelheit. Ich
preßte die Lider zusammen.
    »Wer ist da?« fragte ich. »Kommt her!«
    Keine Stimme antwortete mir. Ich
blinzelte in das Licht und verstand.
    Der Vorführer.
    Er hatte gewartet, umsonst. Er ließ den
Streifen mit den Probeaufnahmen noch einmal laufen.
    Dort saß er, zehn Meter entfernt hinter
seinem Apparat. Hier stand ich, Haut an Haut mit Stefan Reinold, und trotzdem
war er weiter fort als der fernste Stern. Hinter uns auf der Leinwand tanzte
das Mädchen, das einmal ein Star werden wollte, und es gab sich alle Mühe,
Reinold zu gefallen.
    Langsam richtete ich mich auf. Meine
Hände hielten Stefans Schultern. Ich drehte den Kopf zur Leinwand. Die
glitzernde Linse warf meinen Schatten groß über das tanzende Mädchen.
    So lebendig war sie.
    Sacht lehnte ich Stefan zurück, als
wollte ich ihn nicht aufwecken. Meine Beine fühlte ich wieder und den Teppich
unter ihnen. Ich ging langsam und aufrecht zum Tisch und nahm den Hörer ab. Die
Stimme des Vorführers machte mir Mut. Ein Lebender war in der Nähe.
    »Es ist gut«, sagte ich, »hören Sie
auf. Gut, gut. War alles sehr ordentlich. Alles sehr. Sie müssen aber noch
dableiben, hören Sie? Auf keinen Fall weggehen! Wir brauchen Sie noch, hören
Sie? Lassen Sie alles dunkel, ich melde mich wieder.«
    Er fragte nichts. Gott sei Dank. Mir
war, als hätte ich eine Stunde gesprochen.
    Ich blieb am Tisch stehen, und sah das
Messer in Stefans Rücken, bis der Projektor erlosch.
    Nach einiger Zeit konnte ich die
Lämpchen über den Türen wieder wahrnehmen. Ich ging hinüber zur rechten Tür.
Der Schlüssel steckte von außen. Ich öffnete kurz, zog den Schlüssel ab und
schloß von innen. Ich ging an Stefan vorbei zur linken Tür und hinaus auf den
Flur. Wieder schloß ich ab. Als ich den Schlüssel in meine Tasche stecken wollte,
sah ich das Blut an meiner Hand. Es war nicht viel, es sah so aus, als hätte
ich mich geschnitten, an einer Konservendose oder Flasche und ging nun, um ein
Stück Hansaplast zu holen.
    Immer noch war ich allein auf dem
Korridor. Ich ging langsam

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