Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nimm Platz und stirb

Nimm Platz und stirb

Titel: Nimm Platz und stirb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Gruhl
Vom Netzwerk:
ihn
gepackt zu haben nachdem er das Bild gesehen hatte. Ich hob meine schwachen
Schultern.
    »Papiere! Er hat sein Haus in Brissago.
Hier hat er immer im Hotel gewohnt. Überall hat er nur im Hotel gewohnt. Sehr
fraglich, ob er noch eine Heiratsurkunde hat. Kein Mensch weiß, wo er sie
geheiratet hat, ob hier oder sonstwo. Vielleicht sind die Papiere verbrannt,
mitsamt einem wurmstichigen Aktenschrank unter irgendeine Bombe gekommen. Ich
kann Vera nochmal anrufen. Glaube nicht, daß sie mehr weiß, als sie mir gesagt
hat. Mama wäre wirklich die einzige gewesen, Tante Cläre.«
    Eine Whiskypause entstand. Cläre legte
das Bild auf den Tisch zurück. Die traurigen Augen sahen zu uns her, als
bedauerten sie die nutzlose Suche.
    Cläre blies eine weiche Wolke über den
Tisch und das Bild.
    »Wartet mal«, sagte sie langsam. »Mir
fällt was ein mit dem Whisky. Mama hat einen Theateragenten gehabt. Er hat sie
oft  auch vermittelt, als sie noch auf der Varietebühne herumhopste, Lobkowicz
heißt er, muß an die Siebzig sein. Kennt jeden seit Shakespeares Zeiten und
früher. Wenn ihr wollt, gebe ich euch die Adresse. Warum seid ihr hinter dem
Mädchen her?«
    Der Jühl nahm das Bild wieder in die
Hand.
    »Der Hans Trunkenbold meint, daß sie was
mit dem Messer zu tun hat, das Reinold im Kreuz stecken hatte.«
    Die Wirtin sah mich voller Mitleid an.
    »Wie soll sie das?«
    »Weiß ich auch nicht«, antwortete ich.
»Es wird an meinem Beruf liegen.«
    Sie gab mir neuen Whisky zum Trost.
Dann drückte sie auf einen Klingelknopf hinter sich an der Wand. Charly
erschien blitzartig. In der Hand trug er eine neue Flasche.
    »Meine Güte«, sagte sie, »so schnell
geht’s auch wieder nicht. Charly — vorn im Buch ist die Adresse von Lobkowicz,
dem Agenten. Schreib sie auf einen Zettel und bring sie her. Die Flasche kannst
du hierlassen.«
    Was für eine Frau. Charly brauchte
keine zwei Minuten. Cläre las vor.
    »Hier — Istvan Lobkowicz, Theater- und
Filmagentur. Büro Belgradstraße 12 b. Telefon 72 14 97.«
    »Was ein anständiger Jugoslawe ist, der
gehört in die Belgradstraße«, sagte ich. »Wohnt er da auch?«
    Sie sah fragend zu ihrem Barkeeper.
    »Es stand noch eine Adresse drunter«,
sagte Charly. »Durchgestrichen. Vielleicht ist er umgezogen.«
    »Ein Büro ist besser als gar keine
Unterkunft. Es wird sowieso nichts rauskommen dabei«.
    Ich steckte den Zettel ein.
    »Herzlichen Dank, Charly«, sagte ich.
»Kaufen Sie sich irgendwas von Ihren Vorräten.«
    Charly bedankte sich und verschwand.
    »Wir können ja mal fragen, Jühl. Ich
geh’ meinetwegen zu dem Istvan in die Belgradstraße, und du kannst aufs
Meldeamt latschen, wenn du Zeit und Lust hast...«
    Er gab mir das Bild zurück. »Mach ich
gern.«
    »Und jetzt trinken wir einen auf unsere
Tante Cläre!« sagte ich. »Die beste Wirtin der Stadt!«
    Ich mußte meine Enttäuschung
hinunterspülen. Ein paar Tage eher, und ich hätte die alte Frau noch gesehen.
    Wir spülten gründlich. Zuerst wollte
Cläre gehen, dann blieb sie doch noch eine Weile und erzählte von früheren
Zeiten und Filmen und von der Bühne. Wie sie in der Schweiz zu einer jungen
Dame von Welt erzogen werden sollte und wie und woran es gescheitert war. Der
Jühl und ich lachten braune Whisky tränen.
    Nach einer Stunde verließ sie uns,
nachdem wir versprochen hatten, jede Woche einmal zu kommen. Wir wanderten
zurück zur Bar. Das Lokal war jetzt voll, und Gläserklirren und Liebesgeflüster
klang von überall her. Ich trank noch einiges durcheinander, obwohl ich wußte,
welche Gefahren mir drohten. Als es soweit war, daß ich die Künstler an den
Wänden nicht mehr auseinanderhalten konnte und ein Gemisch von Whisky und Wodka
mir die Stirnhöhle ausfüllte, schleifte der Jühl mich hinaus. Die Begegnung mit
der frischen Luft war wie ein Schlag mit dem Zementsack. An Autofahren war
nicht mehr zu denken. Ich hätte den Wagen auf allen vieren nicht erreicht. Der
Jühl charterte ein Taxi. Ich kroch auf der einen Seite hinein und fiel auf der
anderen Seite wieder raus. Mit vereinten Kräften zogen sie mich an Bord. Als
letztes bekam ich mit, daß ich den Taxichauffeur umarmte und die Internationale
anstimmte.
     
     
     

XVII
     
    Von irgendwoher rief eine Stimme meinen
Namen. Ohne Zweifel war es die eines Erzengels, der mich zur Sitzung des
Jüngsten Gerichts aufforderte. Ich wollte die Augen aufmachen, um ihn zu sehen,
aber irgend jemand hatte die Lider zusammengenäht.
    Dann schaffte ich es.

Weitere Kostenlose Bücher