Nimm Platz und stirb
vermochte
nichts daran zu ändern. Sie hatte ein gepolstertes Puppengesicht mit an und für
sich lustigen Augen, die jetzt aber böse und grimmig blickten, wie der Riese
Goliath vor dem Kampf. Sie trat aus der Türfüllung. Auf diese Weise gelang es
ihr, die Fäuste in die Hüfte zu stemmen.
»Was erlauben Sie sich hier?« schrie
sie mich an.
»Der Herr ist unschuldig, Chefin«,
jammerte Charly. »Es ist der Bollmann gewesen, wieder der Bollmann!«
Die Chefin kam um die Bar herum und
entdeckte den Unglücklichen, den Jühl am Kragen in sitzender Stellung hielt. Er
schlug gerade die Äuglein auf. An seiner Stelle wäre ich wieder eingeschlafen.
»Natürlich!« Sie glich einem
Fesselballon mit Überdruck. »Der Herr Bollmann! Der Herr Stammgast! Bist du mal
an den Falschen gekommen, du Großmaul! Hab’ ich dir nicht hundertmal gesagt, du
sollst hier kein Theater anfangen? Antworte!«
Er antwortete nicht. Trotz ihrer
Körperfülle war sie sehr behende. Sie bückte sich und versetzte ihm zwei
schallende Ohrfeigen. Schlechter Tag für Herrn Bollmann.
Im nächsten Augenblick stand sie vor
mir. Ich schloß die Augen und erwartete das Klatschen in meinem Gesicht. Statt
dessen wurde meine Hand ergriffen und geschüttelt. Mein Schultergelenk
knirschte.
»Besten Dank, Herr, daß Sie ihm die
Meinung gesagt haben!«
Ich deutete auf den Jühl. »Das war der
da, Madame!«
Sie betrachtete ihn mit Anerkennung.
Auch er bekam einen Händedruck.
»Charly, drei Whisky! Los, hoch mit
dir!«
Zusammen mit dem Jühl stellte sie den
Boxmeister auf die Füße. Er schwankte leicht. Sein Gesicht unter dem
Mittelscheitel war jetzt äußerst ängstlich. Die Wirtin erspähte meinen
Filmstern in der Ecke.
»Aha! Du bist auch dabei. Ich kann euch
nicht sagen, wie ich mich über euren Besuch gefreut habe!«
Sie zischte plötzlich los wie eine
Dampfpfeife, »Nimm deinen Galan unter den Arm und verschwinde! Raus! Acht Tage
will ich euch nicht sehen! Seid ihr immer noch nicht fort!«
Das Mädchen trippelte heran. Sie nahm
den zerschmetterten Bollmann am Arm und schwenkte ihn herum, gleich darauf
schloß sich der Schlitz des Vorhanges. Die Vorstellung der beiden war zu Ende.
XVI
Charly hatte die Gläser hingestellt.
Die Wirtin packte eines.
»Prost! Wie heißt ihr?«
Langsam verstand ich, warum es Stefan
in diesem Lokal gefallen hatte.
Wir tranken. Ich stellte mich vor, dann
der Jühl.
»Es tut uns außerordentlich leid, gnä’
Frau. Gleich beim ersten Auftritt...«
»Ach was!« Sie winkte ab. »Kenne doch
den Burschen! Jede Woche feure ich ihn raus, weil er irgendwas anfängt.
Ehemaliger Artist.«
Sie schlug wieder auf Jühls Schulter
herum.
»Allerhand, daß du den umgehauen hast,
mein Junge!«
»War die Dame seine Braut?« fragte ich.
»Die Dora? Pah! Die war schon oft
Braut. Will zum Film. Sollte lieber schneidern!«
»Ich weiß.« Ich erklärte ihr die
Zusammenhänge des Krachs.
»Reinold? Ach. Ja, ich hab’s gelesen.
Habe ihn gut gekannt. Der arme, liebe Kerl.«
Sein Name erinnerte mich an meinen
Vorsatz. Trotz des Alkohols und der netten Unterhaltungseinlagen.
»Ich — wir sind gekommen, um etwas zu
fragen — eigentlich Ihre Frau Mutter — , und jetzt haben wir gehört, daß... es
tut uns genauso leid wie um Stefan, gnä’ Frau.«
»Bestimmt, gnä’ Frau«, sagte der Jühl.
Sie wischte kurz mit der Hand durch die
Luft.
»Nicht zu ändern. Könnt euch
vorstellen, daß ich nicht in der Stimmung bin wie sonst.«
Es hatte nicht so ausgesehen.
»Charly, mach Licht am Stammtisch! Und
bring Whisky! Und räum die Scherben hier weg. Kommt, ihr beiden! Was ich noch
sagen wollte, die gnä’ Frau könnt ihr weglassen. Ich bin Cläre.«
Sie tätschelte Jühls Wange.
»Du darfst sogar Tante Cläre sagen!«
»Jawohl, Tante Cläre!«
Wir folgten ihr durch die Plüschhalle,
vorbei an dem staunenden Pärchen und den vielen Bildern. Ich suchte krampfhaft
darin herum nach einem, das dem von Andrea Lacon hätte ähnlich sein können. Ich
kannte das Gesicht schon so auswendig wie meinen Namen. Nichts zu machen.
Rechts am Ende des Raums war eine plüschbeschlagene
Tapetentür. Die Tante Cläre öffnete und machte Licht. Wir betraten ein kleines,
gemütliches Zimmer mit Sesseln und nur einem großen Tisch. Die Ausstattung war
die gleiche wie draußen. Nur die Bilder der Künstler hingen noch dichter, und
die Widmungen waren länger. »Setzt euch! Da — das ist meine Mutter!«
Ein großes Bild mit einem Trauerflor
hing
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