Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
Vom Netzwerk:
Zinnen, dass ich mich an die einsamen Nächte meiner Kindheit erinnert fühlte, als ich mit bis zum Kinn hochgezogener Bettdecke in der Dunkelheit meines Zimmers gelegen hatte, die Beine angewinkelt, so dass die Wesen, die ich unter dem Bett zu wissen glaubte, nicht nach meinen Füßen würden greifen können. Im nächtlichen Sturm, der Burg Karfunkelstein fest im Griff hatte und dicke Schneeflocken gegen das winzige Fenster der Kammer wehte, wurde ich der Stimmen meiner Eltern gewahr, die nur mehr Schreie waren, triefend vor Hass und Bosheit, so dass die Vorwürfe, in die sich die Worte verwandelten, die Bilder aus glücklichen Tagen förmlich in Fetzen rissen.
    Als ich erwachte, fühlte ich mich leer und ausgelaugt.
    Allein.
    Leise flüsterte ich ihren Namen.
    Greta Grillparzer.
    Eine leise Melodie begleitete den Namen, und wenn ich dieser Melodie lauschte, dann verstummten die keifenden Stimmen, die so falsch und voller Tücke im Flüstern des Windes hausten.
    Ganz benommen und wie gelähmt lag ich da. Versteckte mich bis zur Nasenspitze unter der Bettdecke, wie ich es als kleines Kind getan hatte.
    Dann hörte ich die Stimme.
    Jene leise Stimme, die ein schauriges Wehklagen war, das ich zunächst als Sinnestäuschung abtat, schließlich aber doch nicht mehr ignorieren konnte. Einige Augenblicke lauschte ich angestrengt der Stimme, die unten aus dem Burghof heraufzu-dringen schien.
    Dann fasste ich mir ein Herz und stand auf.
    Eine dünne Eisschicht bedeckte das Buntglasfenster, durch das ich, wenn ich mich in die Fensterscharte hineinbeugte, einen Blick nach unten in den Burghof erhaschen konnte.
    Was ich dort sah, machte mich gleichermaßen neugierig und erschrocken.
    Eine im fahlen Licht der Laternen silbern glänzende Gestalt stand dort unten. Sie schien den felsigen Boden zu betrachten und verharrte dabei nahezu regungslos. Als sich meine Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, erkannte ich, dass die Gestalt einen silbernen Brustpanzer trug.
    Die Gestalt, die einen traurigen Gesang angestimmt hatte, kniete sich mit einem Mal in der Mitte des Burghofs nieder und ergriff einen Gegenstand, der zu klein war, als dass ich ihn hätte erkennen können.
    Kurz darauf trat eine weitere Gestalt aus den Schatten, die von den vorstehenden Giebeln des Kempenicher Hauses geworfen wurden. Der grüne Parka mit der Kapuze ließ keine Zweifel zu.
    »Greta«, flüsterte ich überrascht.
    Ganz sicher war ich mir, dass sie es war.
    Doch wer war die andere Person?
    Was tat sie dort unten, mitten in der Nacht?
    Was auch immer die Gestalt mit dem Brustpanzer dort unten am Boden gefunden hatte, sie zeigte es Greta, die den Gegenstand in die Hand nahm und lange Zeit betrachtete. Dann gab sie ihn der geheimnisvollen Gestalt zurück.
    Die beiden schienen Worte zu wechseln.
    Kurz nur.
    Dann ging Greta ins Haus zurück, und die Gestalt mit dem silbernen Brustpanzer verschwand in der undurchdringlichen Finsternis einer Ecke, in die das Licht der Laternen nicht zu fallen vermochte.
    Ich rieb mir die Augen.
    Verlassen lag der Burghof da. Fußspuren konnte ich von meinem Standort aus keine erkennen. Es gab nichts, was bestätigte, wessen Zeuge ich eben geworden war. Es hätte ebenso gut ein Traum sein können. Vermutlich, so sagte ich mir, war es auch genau das. Nichts als ein Traum. Nur ein Traum in einem Traum. So unwirklich wie die Wesen, vor denen ich mich als Kind gefürchtet hatte.
    »Es ist, was es ist«, erinnerte ich mich plötzlich Luzia Grillparzers Worte.
    »Ein Rätsel«, hatte Greta gesagt.
    Genau das war es.
     
    »Du musst geträumt haben.«
    Beim Frühstück hatte ich Greta auf den nächtlichen Vorfall angesprochen.
    »Aber ich habe es gesehen! Mit eigenen Augen!«
    »Bist du dir auch ganz sicher?« Sie löffelte ihr Müsli aus.
    »Nun ja.«
    »Es war eine unruhige Nacht, und den ganzen Abend haben wir über den geheimnisvollen traurigen Junker gesprochen. Ich selbst habe oft Träume, die nur allzu lebendig wirken.«
    »Du bist also nicht dort draußen gewesen?«
    Sie legte den Löffel beiseite. »Mitten in der Nacht?«
    »Ja.«
    »Wann soll denn das gewesen sein?«
    »Nach Mitternacht.« Sicher war ich mir nicht. »Ich meine«, murmelte ich, »ich habe nicht auf die Uhr gesehen. Es war einfach spät gewesen. Mitten in der Nacht. Vorher habe ich fest geschlafen.« Geisterstunde, dachte ich, und mit diesem Gedanken kamen Erinnerungen an alte Schwarzweißfilme zurück, Filme, die ich als Kind bei meinen Großeltern gesehen

Weitere Kostenlose Bücher