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Nimmermehr

Nimmermehr

Titel: Nimmermehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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wollte der Händler nicht mit der Geschichte herausrücken. Manche Geheimnisse, das war er nicht müde geworden zu betonen, sollten eben im Verborgenen bleiben.« Ein Schleier legte sich über ihre Augen. »Jetzt ist es zu spät.« Ihre Hand ruhte auf der zerknitterten Ausgabe der Rheinzeitung. Die Seite mit den Traueranzeigen lag obenauf. »Jetzt ist er dem Bildnis entschwunden.«
    »Sie glauben, dass der Junker aus dem Bildnis verschwunden ist, weil seine Geschichte vergessen worden ist?«
    »Ja.«
    »Aber das ist doch gar nicht möglich.« Mein Vater hatte mir schon früh beigebracht, dass alte Bilder verblassen oder abblättern können. Aber niemals verschwanden sie einfach grundlos. Das war unmöglich. Bilder bestehen aus Leinwand und Farbe, und nichts davon löst sich in Luft auf.
    Luzia ließ sich nicht von ihrer Meinung abbringen. »Er ist fort, oder etwa nicht?«
    »Ja.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es lohnt sich nicht, darüber zu streiten. Der traurige Junker ist nun einmal verschwunden. Daran können wir nichts ändern. Mit eigenen Augen haben wir gesehen, dass dort, wo er einmal gestanden hat, nichts mehr ist.«
    Was nicht ganz richtig war. Es war nicht nichts mehr da. Nichts mehr hätte einen leeren Fleck bedeutet. Der aber nicht da war. Man konnte deutlich die gemalte Landschaft erkennen, die feine Maserung des Stoffes, auf den die Farbe aufgetragen worden war. Und da war noch der Schatten, den der Junker auf die am Boden liegende Karaffe geworfen hatte. Ein Schatten, dessen Ursprung nun verschwunden war.
    »Es ist, was es ist«, sagte die alte Frau.
    Und Greta brachte es auf den Punkt: »Ein Rätsel.«
    »Warum ist seine Geschichte so wichtig?«, wollte ich wissen.
    »Es sind die Geschichten aus alter Zeit«, erklärte Luzia, »die uns unsterblich machen. Und was ist der Tod schon anderes als das Vergessen?«
    »Sie ist Philologin, musst du wissen«, gab Greta zu bedenken.
    »Ich prüfe und übersetze alte Schriften, die von den unzähligen Geschichten zu berichten wissen, die sich hier auf Burg Metzengerstein zugetragen haben.« Ein höchst unternehmungslustiges Funkeln spiegelte sich in ihren Augen. »Das ist es, was ich gerade tue. Die Philologie«, erklärte sie mir, »umfasst Sprach- und Literaturwissenschaft und beschäftigt sich laut Lexikon mit der Untersuchung schriftlicher Quellen, der Gewährleistung ihrer Authentizität und der Wiederherstellung der ursprünglichen Form sowie der Einschätzung ihrer literarischen Bedeutung. Sprachen haben mich schon immer fasziniert. Und hier findet man selbst in den Staubkörnern zwischen den Steinen noch die Reste alter Geschichten. Man muss sie nur entziffern.«
    »Deshalb interessiert sie also der traurige Junker.«
    Sie schwieg und schaute in die Flammen des Kamins, die hoch aufloderten, als ein Lufthauch sie streifte. »Seine Geschichte … und die anderer dazu. Derzeit arbeite ich daran, die Leidensgeschichte der Elisabeth von Metzengerstein zu übersetzen. Wenn du möchtest, dann kannst du mich morgen im Turm des Hauses Mörz besuchen. Dort oben befindet sich mein Refugium Scriptorium, wie ich es nenne. In genau dem Raum wurde übrigens Greta geboren.«
    »Hey, das war eine stürmische Nacht«, lachte sie. »Als die Wilddruden in der Dunkelheit heulten, als gebe es kein Morgen.« Ich fragte mich, wie es wohl für sie gewesen war, hier inmitten dieser Mauern aufzuwachsen. Mit all den Geschichten, die aus jeder Mauerritze hervorkrochen.
    »Meine kleine verträumte Greta«, sagte die alte Frau und ergriff kurz die Hand ihrer Enkelin, drückte sie fest, um sie sogleich loszulassen. »Sie hat sich einmal in der wertvollen Wanduhr von 1443 versteckt, als sie glaubte, dass sich ein Wolf in der Burg befände. Ein andermal hat sie mein Sohn nur mit Glück davon abhalten können, den flämischen Bildteppich im Kempenicher Saal mit Filzstiften zu bemalen.«
    »Ich war eben neugierig«, entschuldigte sich Greta.
    »Was wir alle bestätigen können. Neugierig und aufgeweckt.«
    Zero erhob sich von seinem Platz am Kamin und trottete zu Greta, stupste ihre Hand mit der Schnauze an und legte sich dann zu ihren Füßen nieder, wo er augenblicklich die Augen schloss und ins Reich der Hundeträume abglitt.
    »Es gibt da ein Büchlein«, offenbarte mir Luzia Grillparzer, »in dem einige wenige kleine Geschichten zusammengefasst sind. Ja, ich gebe es zu. In aller Bescheidenheit. Es wurde von mir höchstpersönlich verfasst.«
    »Es sind die Geschichten, die sich in

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