Nimue Alban 10 - Der Verrat
Sekretärin, als er jemals zugeben würde. Sein persönlicher Balanceakt – treuer Sohn von Mutter Kirche und zugleich Botschafter des ketzer i schen Kaiserreichs Charis, war schwieriger geworden, nac h dem die Kirche auf den Heiligen Krieg zugesteuert und der Aufruf dann tatsächlich erfolgt war. In tiefstem Herzen fra g te sich Sir Rayjhis, was er tun würde, falls in der Republik alle Stricke rissen. Nur seine tief verwurzelte Treue dem Hause Ahrmahk gegenüber hatte ihn überhaupt dazu g e bracht, seinen Posten nicht zu verlassen. Er wusste wirklich nicht, ob diese Treue ausgereicht hätte, hätte Mutter Kirche sich nicht redlich bemüht, die Neutralität der Republik zu wahren. Sir Rayjhis hatte genug Zeichen dafür erkennen können – Zeichen, die nur von Vikar Rhobair und Kanzler Trynair gekommen sein konnten, dass Mutter Kirche es s o gar darauf anlegte, die Siddarmark das Embargo unterlaufen zu lassen. Nur deshalb war der Botschafter geblieben. Doch wenn alles aus dem Gleichgewicht geriete, wenn Mutter Kirche es sich doch noch anders überlegte, was würde er dann tun?
»Ja, in mancherlei Hinsicht stimmt das «, wiederholte er, »aber wir leben nun einmal hier und jetzt . Also können wir alle nichts anderes tun, als um Gottes Führung zu bitten, d a mit wir diese Zeiten überstehen, ohne Schaden an unserer unsterblichen Seele zu nehmen. Wenn wir eine Gelegenheit sehen, etwas zu verbessern – oder zumindest dafür zu so r gen, dass etwas nicht noch schlimmer wird, sollten wir Gott auf Knien dafür danken. «
»Ja, Sir. « Wynai senkte den Blick. Sie schien sich dafür zu schämen, ungefragt ihre Meinung gesagt zu haben. Sir Rayjhis holte tief Luft.
»Dann fertigen Sie jetzt bitte die Reinschriften der Briefe an! «, bat er sie in deutlich sanfterem Ton. »Und sagen Sie Zheryld, wir werden einen zusätzlichen Postsack für Telle s berg benötigen! «
»Sehr wohl, Sir. «
»Sollten Sie irgendwelche persönlichen Nachrichten nach Charis schicken wollen, Wynai, dann fühlen Sie sich bitte ganz frei, diese auch in den Postsack für die offiziellen D e peschen zu legen! « Sie blickte den Botschafter an, und er lächelte ihr zu. »Ich weiß, dass Sie dieses Privileg nun wir k lich nicht missbrauchen. Aber so kommen Ihre Schreiben wenigstens ein bisschen schneller in die Heimat. «
»Ich danke Ihnen, Sir Rayjhis. Ich weiß das sehr zu schätzen. «
Wynai griff nach ihrem Notizblock und ihrem Stift, um den Korridor hinunter in ihr eigenes winziges Arbeitszimmer zu gehen. Als sie die Tür hinter sich schloss, blickte Drag o ner wieder aus dem Fenster. Er betrachtete die sonnenb e schienenen Dächer vor der azurblauen North Bedard Bay, auf der zahllose Segel zu erkennen waren. Und dann dachte er an die Heimat, die in so weiter Ferne lag.
Wynai Thyrstyn schloss die Tür ihres Arbeitszimmers und setzte sich in den knarrenden, etwas wackeligen Stuhl hinter ihrem Schreibtisch. Den Block mit ihren Kurzschriftnotizen legte sie auf die Schreibtischunterlage und las das Diktat noch einmal. Sie dachte über den Inhalt des Schreibens nach und fragte sich, was sie nun tun sollte. Sie lehnte sich in i h rem Stuhl zurück und presste die Handflächen vor die g e schlossenen Augen, um bloß nicht in Tränen auszubrechen.
Manchmal empfand sie ein beinahe unerträgliches Schuldgefühl, wenn sie in Sir Rayjhis ’ Arbeitszimmer saß und seine Worte mitschrieb oder an seiner Korrespondenz arbeitete und ihm die Fragen über die charisianischen und die nicht-charisianischen Gemeinden hier in Siddar-Stadt beantwortete. Natürlich wusste Wynai, dass es völlig falsch war, so zu empfinden. Sie tat nichts Unrechtes, und Sir R a yjhis war ein guter Mensch, der auf ihre Hilfe angewiesen war. Sie konnte buchstäblich sehen, wie jeder weitere Tag ihn altern ließ. Sein Haar war in der letzten Zeit zusehends ergraut, und die Falten in seinem Gesicht wurden tieferund tiefer. Erließ sich sehr viel deutlicher anmerken, als ihm das selbst bewusst sein konnte, wie sehr die Entwicklungen der letzten Jahre seinem tief verwurzelten Glauben zuwiderli e fen. Wynai konnte sehen, wie sehr der Botschafter innerlich zerrissen war. Sie fragte sich, wie lange Sir Rayjhis das wohl noch ertrüge. Und wie er reagieren würde, wenn das Unau s weichliche geschähe.
Und es war unausweichlich. Wynai ließ die Hände wieder sinken und starrte die Ikone des Erzengels Langhorne an, die über ihrem Schreibtisch an der Wand hing. Etwas anderes konnte Gott
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