Nimue Alban 10 - Der Verrat
Reichsverweser Ludovyc Urwyn gehört, dem Begründer der Republik. Er hatte es während eines ganzen Dutzends von Feldzügen und mindestens zwanzig Schlachten geführt. Trotz all des Goldes und der fein geschliffenen Edelsteine, die man im Laufe der letzten vier Jahrhunderte nach und nach hinzugefügt hatte, war es immer noch eine tödliche Waffe. Wenn dieses Schwert gut genug gewesen war für den ersten Reichsverweser, dann sollte es auch für den letzten Reichsverweser der Republik gut genug sein – bis man es ihm schließlich aus der kalten, toten Hand risse, jawohl!
Dann mach auch, dass du nach unten kommst, Greyghor! An der Mauer sind die Chancen besser als hier oben, ein paar von denen zu erwischen. Wenn die erst einmal in den Palast selbst eingedrungen sind, dann …
Wieder brachte Stohnar den Gedanken nicht zu Ende. Denn da, ganz plötzlich, grollte am südliche Ende des Pla t zes Donner auf.
Entsetzt und ungläubig wirbelte Borys Sahdlyr herum, als das unverkennbare Donnern einer Musketensalve die zorn i gen Rufe der Menschenmenge übertönte – nein, regelrecht erstickte! Das Gebrüll erstarb schlagartig. Pulverdampf hül l te die ganze Südseite des Platzes der Verfassung ein.
Dann ging das Gebrüll von Neuem los. Doch dieses Mal war es von einer ganz anderen Art.
Sahdlyr blickte sich um. Er konnte nichts erkennen, so viele Männer drängten sich zwischen ihm und dieser u n durchdringlichen Rauchwand. Er wandte sich um und bahnte sich unsanft den Weg durch die völlig betäubten Aufrührer hindurch, bis er Ludovyc Urwyns hoch aufragende Reiterst a tue erreichte. Die zierlichen Springbrunnen, die das Bronz e denkmal umgaben, waren noch nicht für den Winter abg e stellt. Sahdlyr ignorierte das eiskalte Wasser, das ihn sofort bis auf die Haut durchweichte, als er über die Einfassung des Beckens sprang. Er platschte durch das knietiefe Wasser und kletterte auf den Sockel der Statue. Von dort oben könnte er endlich den Platz überschauen.
Er stand noch nicht ganz auf dem Sockel, als der scharfe hundertfach verstärkte Knall einer zweiten Salve zu hören war. Als Sahdlyr sich am Knie von Urwyns Pferd hochzog, krachte die dritte Salve los.
Unmöglich!, dachte er, als er diese rasche Schussfolge hörte. Wir wissen doch ganz genau, wie viele Musketen im Waffenarsenal der Stadt gelagert waren. Und die haben sie alle zur Feste Raimyr geschickt! Die können einfach nicht so viele davon haben, verdammt!
So war es aber. Sahdlyr erstarrte das Blut in den Adern, kaum dass er hoch genug hinaufgeklettert war.
Mindestens eintausend Mann waren vom Süden her auf den Platz der Verfassung marschiert, während sich die w ü tende Meute ganz auf den Palast des Reichsverwesers ko n zentriert hatte. Nicht einer von diesen eintausend Mann hielt eine Pike in der Hand, sondern jeder eine Muskete. Sahdlyrs Magen krampfte sich zusammen, als er begriff, dass es keine Musketen mit Luntenschlössern waren. Es waren die neuen Modelle mit Steinschloss ! Neue Bajonette hatten sie auch. Das konnte, das durfte nicht sein! Mutter Kirche hatte der Republik ausdrücklich untersagt, mehr als fünftausend der neuen Waffen anzukaufen. Pater Saimyns Agenten wussten ganz genau, wohin diese fünftausend neuen Waffen geko m men waren. Mehr als dreitausend davon befanden sich jetzt in der Feste Raimyr. Aber von dort kamen die Musketen auf dem Platz nicht. Die Männer, die diese Waffen in den Hä n den hielten, waren keine Musketiere der Armee: Sie trugen bunt gemischt Zivilkleidung. Doch jeder trug zur Identifizi e rung eine weiße Schärpe um Schulter und Hüfte.
Sahdlyr blieb auf seinem Aussichtspunkt, und seine A u gen wurden eisig und düster, als eine vierte Salve krachte. Die Neuankömmlinge hatte sich lediglich in einer Dreierre i he aufgestellt. Also hatte die vorderste Reihe innerhalb von zwanzig oder höchsten fünfundzwanzig Sekunden gefeuert und dann nachgeladen. Das war ungleich schneller als alles, was sich mit Luntenschlössern erzielen ließ! Schlimmer noch, unter dem dröhnenden Dauerfeuer (so jedenfalls em p fand es Sahdlyr) war bereits ein Sechstel des Platzes mit T o ten, Sterbenden und Verwundeten übersät.
Die Neuankömmlinge waren den Aufrührern zahlenmäßig unglaublich unterlegen. Sie arbeiteten allerdings eng zusammen. Sie waren eine eingespielte Einheit und zeigten all die disziplinierte Organisation, die Sahdlyrs eigenen Männern so völlig abging. Dazu waren sie ungleich besser bewaffnet und hatten das
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