Nimue Alban 10 - Der Verrat
Stickereien seiner Gewä n der schimmerten. Die Augen des Erzbischofs aber waren sehr, sehr dunkel.
»Aus Gorath ist eine Nachricht nach Tellesberg gekommen «, erklärte er schließlich. Irgendwo in der Tiefe der K a thedrale war der entsetzte Aufschrei einer Frau zu hören. Staynair blickte hinüber. Doch seine Stimme klang ebenso fest wie zuvor.
»König Rahnyld hat sich dafür entschieden, Sir Gwylym Manthyr und alle Männer unter seinem Kommando, die e h renhaft vor der Flotte von Dohlar kapituliert haben, an die Inquisition zu überstellen. In den letzten Fünftagen des Mai wurden sie der Inquisition übergeben. Mittlerweile, meine Kinder, haben sie Zion erreicht. Zweifellos erdulden sie g e rade jetzt, wo ich vor euch stehe, schon die peinliche Befr a gung. «
Weitere Stimmen schlossen sich jenem ersten, wortlosen Schreckensruf an. Niemand leugnete Staynairs Worte; es waren Trauer und Zorn, die aus den Menschen hervorbr a chen. Hier wurde ihnen genau das bestätigt, was sie alle so lange befürchtet hatten. Zorn und Hass loderten in den Kl a gerufen auf. Beides ließ etwas Neues entstehen: noch jung, doch schon jetzt mit eisernen Knochen und stählernen Rei ß zähnen – kalte, eisige Rachsucht.
Die Priester und Diakone vor der Kathedrale hatten Staynairs Predigt für die Menschenmenge wiederholt. Überall auf dem Domplatz und in allen angrenzenden Straßen lode r ten Zorn, Hass und Rachsucht auf. Das Geschrei der Me n schenmenge war sogar in der Kathedrale selbst zu hören, allen Klagerufen im Inneren des Gotteshauses zum Trotz. Staynair hob die Hand und gebot Schweigen.
Die Gemeinde gehorchte. Dass Maikel Staynair es ta t sächlich fertigbrachte, eine entrüstete, wutentbrannte G e meinde zum Schweigen zu bringen, verriet unverkennbar, wie sehr seine Gemeinde ihn liebte und respektierte.
Natürlich stellte sich die Stille nicht augenblicklich ein. Sie kam langsam und zögerlich, wie ein Catamount, das nicht bereit war, seine Beute entkommen zu lassen. Jenseits der Mauern der Kathedrale dauerte es noch länger, bis wi e der Stille einkehrte. Doch schließlich herrschte wieder Ruhe. Erneut blickte Staynair auf die Gemeinde vor ihm hinab.
»Unsere Brüder, Väter, Söhne und Gemahle wurden Fo l terknechten und Mördern überantwortet, die allesamt der abstoßenden Verderbtheit des Großinquisitors gehorchen «, sagte der sonst so sanftmütige, liebevolle Erzbischof mit rauer Stimme. »Sie wurden der Inquisition nicht überstellt, weil sie etwas getan hätten, das diese entsetzlichen Strafen rechtfertigen würde – was auch immer Zhaspahr Clyntahn und sein Kreis von Speichelleckern behaupten mögen! Sie müssen all diese Qualen und den entsetzlichen Tod, den die Strafen Schuelers verlangen, nur deswegen erleiden, weil sie es gewagt haben – gewagt, meine Kinder! – ihre Familien und alle, die ihnen lieb und teuer sind, und alle Kinder Go t tes vor dem zu beschützen, das sie in diesem Augenblickjetzt selbst ertragen müssen. Sie haben es gewagt, sich dem B ö sen, der Verderbtheit und der Arroganz der ›Vierer-Gruppe‹ entgegenzustellen. Zhaspahr Clyntahn hat sein Amt mis s braucht und verdorben, ebenso wie er seine eigene unsterbl i che Seele verdorben hat. Denn er straft diese Männer nicht dafür, dass sie sich Gott entgegengestellt haben, sondern ihm – dem sterblichen Menschen Zhaspahr Clyntahn.
Dies ist nicht das Werk der Tempelgetreuen, auch wenn viele von ihnen sich von den Lügen der ›Vierer-Gruppe‹ so sehr haben blenden lassen, dass sie deren Entscheidungen nicht nur gutheißen, sondern mit Jubel aufnehmen. Dies ist nicht das Werk des Nachbarn von nebenan, der sich immer noch der Kirchenspaltung entgegenstellt, der ›Ketzerei‹ der Kirche von Charis. Dies ist nicht das Werk von jemandem, der wahrhaftig Gottes Willen zu erkennen und zu begreifen sucht. Es ist nicht das Werk von jemandem, der das Gesetz, die Gerechtigkeit oder die Wahrheit achtet, oder irgendetwas in Gottes großer, weiter Welt, außer sich selbst . «
Viele Gemeindemitglieder rissen entsetzt die Augen auf. Nicht ob dessen, was sie hier hörten, sondern aus wessen Mund sie es hörten. Dies war Maikel Staynair, der sanftm ü tige Hirte – der Erzbischof, der von eben dieser Kanzel aus um Verständnis und Mitgefühl gefleht hatte, während noch das Blut derjenigen , die ihn zu ermorden versucht hatten, von seinen Gewändern troff. Doch an diesem Tag, am Go t testag, fand sich in Erzbischof Maikel Staynair keine Spur
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