Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
dringend notwenig, so lange wie möglich das Überraschungsmoment nutzen zu können.
Deswegen befand sich Merlin zu diesem Zeitpunkt ja auch an Bord seines Aufklärer-Schwebeboots. Wie ein lautloser Todesengel schwebte er über dem Semaphorenturm, den er innerlich bereits seit einiger Zeit als ›Zielobjekt Alpha‹ bezeichnete. Auf seiner Liste standen noch vier weitere Zielobjekte, die neutralisiert werden mussten – isolierte Objekte, fernab jeder Stadt und jeden Dorfes. Aber diese Ziele mussten unbedingt ausgeschaltet werden. Daran bestand gar kein Zweifel. Schließlich durfte nichts und niemand Verdacht schöpfen, bevor das begann, was Cayleb das ›Stoßtruppunternehmen Kanal‹ nannte. Waren jene fünf Zielobjekte zerstört, wären die entscheidenden ersten sechshundert Meilen der Semaphorenkette unterbrochen. Damit könnten die Tempelgetreuen nicht mehr vorgewarnt werden. Das wiederum bedeutete, dass die Diener der Kirche des Verheißenen die Panzerschiffe auch nicht festsetzen könnten.
Auf ganz Safehold gab es nur eine einzige Person, die in der Lage war, diese fünf Zielobjekte auszuschalten.
Merlin schürzte die Lippen. Es wäre viel einfacher gewesen – zumindest für sein eigenes Gewissen –, wenn er die bordeigenen Waffensysteme des Schwebebootes hätte nutzen können: Dann bräuchte er die Zielobjekte lediglich durch ein High-Tech-Zielgerät anzuvisieren. Das machte eine Kampfhandlung deutlich unpersönlicher. Diese Waffen einzusetzen aber wagte Merlin nicht. Es musste auf die harte Tour erledigt werden – von Hand und persönlich. Und wenn er verhindern wollte, dass schon bald Geschichten über den ›Dämon Merlin‹ die Runde machten, musste er dabei so vorgehen, dass keine Zeugen am Leben blieben.
Jetzt hör schon auf, hier Zeit zu schinden! , fuhr er sich innerlich an. Ja, das sind Zivilisten, und du wirst sie umbringen. Ohne Ausnahme. Es sind schon jede Menge anderer Zivilisten ums Leben gekommen, seit Clyntahn diesen ganzen Albtraum überhaupt erst ins Rollen gebracht hat … darunter auch kleine Kinder. Die Besatzungen der Semaphorentürme sind nun wahrlich keine Kinder mehr … und sie sind für den Krieg der Kirche ebenso wichtig wie die Männer in der Uniform der Armee Gottes. Außerdem: während dieser Auszeit, die du Cayleb versprochen hast, träumst du ja nicht. Also wirst du auch keine Albträume haben.
Merlin straffte die Schultern und griff nach dem Steuerknüppel.
»Beide Maschinen langsam voraus.«
»Beide Maschinen langsam voraus, aye, Sir«, erwiderte der Mann am Telegraphen und bewegte die großen Griffe hin und her. Als die Glocken erklangen, spürte Halcom Bahrns, wie das Deck unter seinen Füßen erzitterte. Wieder einmal erwachte die Delthak zum Leben.
Es fühlte sich … gut an. Ein anständiges Kampfschiff ist sie natürlich immer noch nicht! , dachte er. Aber auf Ruderbefehle reagierte sie schneller als jedes Segelschiff, dessen Kommando Bahrns je innegehabt hatte. Und es hatte durchaus auch seine Vorteile, vom Wind unabhängig zu sein. Das war ein Vorteil, den die Charisian Navy eine Zeitlang schon aufgegeben hatte: damals, als sie sich so voller Begeisterung für Galeonen entschieden hatte – und damit gegen Galeeren. Bahrns wusste natürlich, warum jene Entscheidung damals gefällt worden war, und er hieß sie auch voll und ganz gut. Trotzdem …
Er zuckte mit den Schultern. Seine Delthak und er, sie mussten einander natürlich noch viel besser kennenlernen. Doch allmählich kamen sie schon recht gut miteinander aus. Und was auch immer man sonst über die Delthak sagen mochte: sie war voller Arbeitseifer. Für die Überfahrt von Siddar-Stadt in die Ranshir-Bucht hatte er zwar fast drei Fünftage gebraucht, aber die Delthak hätte die gleiche Strecke auch in weniger als zwölf Tagen schaffen können, hätte sie nicht auch noch die beiden Lastkähne schleppen müssen. Mehr als einmal war Bahrns versucht gewesen, die Kähne losmachen und endlich Fahrt aufzunehmen . Aber die beiden Lastkähne – und auch die vier anderen, die jetzt aneinandergekoppelt der Delthak und der Hador folgten – waren unerlässlich für die Erfüllung seines Auftrags.
Auch die Saygin und die Tellesberg hatten ihren Teil Kahnschlepperei geleistet. Den beiden war dann kaum genug Zeit geblieben, die Kähne loszumachen und die Kohlebunker aufzufüllen, bevor sie schon wieder aufbrechen mussten: Unter Dampf umrundeten sie die Landzunge, auf der die nördlichsten Ausläufer des
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