Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
Cayleb und Sharleyan auf Toleranz bestanden haben – nicht nur im eigentlichen Kaiserreich, sondern auch in Corisande. Jemand, der sich als Angehöriger einer bedrohten Minderheit fühlt, lässt sich davon überzeugen, er müsse sich zur Wehr setzen. Viel schwieriger ist das, wenn der Kaiser persönlich die Kirchen der angeblich bedrohten Minderheit durch seine Truppen schützen lässt. Sicher hilft auch, dass es keine Massenkommunikationsmittel gibt, die unsere hauseigenen Tempelgetreuen aufstacheln. So wenig ich mich mit den Ächtungen anfreunden kann: im Augenblick sei Gott für das Verbot von Elektrizität gedankt! Schon die Vorstellung, was jemand wie Clyntahn mit HD oder auch nur mit dem guten alten Radio anstellen würde, verursacht mir Übelkeit – wenn mir noch übel werden könnte. Rayno wäre sicher ein beeindruckender Goebbels-Abklatsch.
Wer in der Siddarmark etwas anderes glaubte als sein Nachbar, konnte nicht das Gefühl haben, in Sicherheit zu sein. Hier hatte jede Seite es leicht, Unmengen Beweise dafür vorzulegen, wirklich und wahrhaftig bedroht zu sein. Beide Seiten kamen nicht einmal dazu, die Menge Blut zu schätzen, die in den vergangenen drei Monaten vergossen wurden. Dank der Informationen seiner SNARCs wusste Merlin, dass alle bisherigen Schätzungen zu niedrig lagen. Er selbst ging davon aus, dass beinahe drei Millionen Menschen ums Leben gekommen waren … bislang. Etwa eine Viertelmillion davon waren Charisianer aus den verschiedenen Charisianischen Vierteln der Siddarmark – oder zumindest dort ansässige Ausländer. Derart feine Unterschiede hatte der tobende Mob nicht gekannt. Alle anderen waren gebürtige Siddarmarkianer, mehr als die Hälfte davon Kinder. Die meisten von ihnen waren zwar verhungert, erfroren oder Krankheiten erlegen, doch viele hatte man tatsächlich gezielt abgeschlachtet. Genau diese Art von Gewalt führte zu der ungestümen Wildheit, deretwegen jeder Glaubenskrieg so besonders brutal war. Je häufiger es zu Kampfhandlungen kam, desto schlimmer wurde es.
Was bedeutet das für unsere eigenen Soldaten? , fragte sich Merlin und beobachtete mit Hilfe der SNARCs die Handvoll Aufständischer, die ihre Gefangennahme überlebten. Sie wurden gerade gefesselt und durch Tritte und Schläge unsanft zusammengetrieben. Wenn unsere Männer sehen, was Styvynsyn und seine Männer gesehen haben, wie werden sie reagieren? Genau zu wissen , was geschieht, das ist eine Sache. Es tatsächlich aus nächster Nähe mitzuerleben , es zu sehen und zu riechen, ist etwas völlig anderes! Das aber ist es, was selbst in den besten Menschen Hass sät.
Gerade noch rechtzeitig waren Marineinfanteristen und bewaffnete Matrosen in Gletscherherz zur Unterstützung von Zhasyn Cahnyrs erschöpften Kämpfern eingetroffen. Zumindest bislang schienen sie gegen dieses besondere Gift immun. Andererseits kämpften Brigadier Taisyns Männer aus befestigten Stellungen heraus, und sie hatten Gletscherherz erst erreicht, nachdem Byrk Raimahn und die dortige Miliz die Front stabilisiert hatten. Damit hatten sie die schlimmsten Massaker und Vergeltungsmaßnahmen nicht mitbekommen. Sie hatten auch genug Lebensmittel mitgebracht, um zumindest die schlimmste Hungersnot an der Front zu stillen. Bislang war ihnen das Ungeheuer Glaubenskrieg mit seinem Giftatem noch nicht in all seiner Entsetzlichkeit begegnet, so sehr sie selbst anderer Meinung sein mochten.
Wir werden noch viele Charisianer in den Strudel aus Hass schicken, sobald Eastshare mit seinen Truppen anlandet. Und Graf Hanth wird seine Männer in der Südmark gleich an die Flanke des Ungeheuers führen.
Merlin seufzte und stellte seine Augen auf den Vergrößerungsmodus um, während er die Bürste aus dem Lauf des Revolvers zog. Sorgsam prüfte er diesen, um ganz sicher zu stellen, dass er auch wirklich sauber war. Mit einem eingeölten Tuch wischte Merlin den Lauf aus und machte sich dann daran, die Waffe wieder zusammenzusetzen – mit bereits geladenem Zylinder.
Ist doch nur eine Frage der Zeit, bis das, was in der Südmark vor sich geht, auch nach Hanth überschwappt – vor allem, wenn Rahnyld sein kleines Überraschungsmanöver hinbekommt. Und dann …
»Merlin?«
Er hörte die Stimme klar und deutlich.
»Ja, Nahrmahn?«, subvokalisierte er über sein eingebautes Com.
»Es tut mir leid, Euch zu stören. Aber ich hatte nicht den Eindruck, Ihr wäret im Augenblick sehr beschäftigt.«
»Habe nur während der Arbeit ein wenig nachgedacht.
Weitere Kostenlose Bücher