Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
Landeigner schlau sind, werden sie Interesse an Partnerschaften mit alt-charisianischen Investoren zeigen. Und sind unsere Landeigner erst dazu bereit, Grundstücke, Rohstoffe und Arbeitskräfte für den Aufbau neuer Manufakturen bereitzustellen, werden Sie es erleben: Es werden sich mühelos Alt-Charisianer finden, die ihrerseits bereit sind, das Startkapital aufzubringen. Auf diese Weise profitieren beide Seiten. Gleichzeitig werden wir Arbeitsplätze für all die Zunftmitglieder finden, denen aufgrund der günstigen Massenartikel aus Charis die Kunden ausbleiben. Der Vorteil eines solchen Vorgehens liegt auf der Hand: Ein größerer Teil chisholmianischen Geldes bleibt im eigenen Land; schließlich kaufen die Menschen hier dann wieder bei ihren Landsleuten ein. Zugegebenermaßen werden so, zumindest während der ersten fünfzehn oder zwanzig Jahre, die Steuereinnahmen für die Krone niedriger ausfallen, als das ansonsten der Fall wäre. Allerdings wird das durch den deutlich belebten Warenverkehr mehr als ausgeglichen. Gleichzeitig verhindern wir damit, dass Chisholm auf lange Sicht wirtschaftlich nur ein lästiges Anhängsel von Alt-Charis wird. Ein solches Vorgehen kommt beiden Königreichen zugute. Dagegen tut Schutzzollpolitik innerhalb des Kaiserreichs lediglich unseren Gegnern gut.«
Saint Howans Miene veränderte sich: Mit einem Mal wirkte er sehr viel nachdenklicher. Mehrere Sekunden lang blickte er seine Kaiserin schweigend an. Dann nickte er langsam und bedächtig – eine Geste, die Sharleyan erwiderte.
»Was die Schiffbarkeit unserer Flüsse betrifft«, sagte sie, »gebe ich Ihnen recht: Hier gilt es noch viel zu erreichen. Allerdings wäre dazu auch eine Alternative denkbar.«
Ein Raunen durchzog den Ratssaal, und Sharleyan musste sich ein Lächeln verkneifen. Einige der Anwesenden hatten ganz offenkundig den Schock ihrer letzten offiziellen Ankündigung noch nicht ganz verdaut. Schließlich verstieß ein solches Vorgehen gegen alle ihnen vertrauten Wirtschaftsmodelle. Aber ihr letzter Satz: das musste Unfug sein! Beide Königreiche verfügten zwar über ein Netzwerk aus Kanälen, aber dieses war mit den Jahrhunderte alten Wasserstraßen auf dem Festland nicht vergleichbar. Chisholm und Charis waren erst sehr viel später besiedelt worden. Die Bevölkerungsdichte war ungleich geringer, und zumindest Charis besaß mit der Howell Bay die effizienteste Wasserstraße, die sich nur vorstellen ließ. Bisher hatte Chisholm nie, auch nicht wirtschaftlich, unter dem Fehlen eines ausgebauten Kanalnetzes gelitten. Aber ohne ein solches Netz ließen sich niemals die Mengen an Eisenerz, Kalkstein und Kohle transportieren, wie sie etwa in Howsmyns Delthak-Werken benötigt wurden.
»Sie alle haben gewiss das Gutachten gelesen, das der Intendant von Charis hinsichtlich der Ächtungen zu Meister Howsmyns ›Dampfmaschinen‹ vorgelegt hat«, fuhr sie fort. »Allerdings vermute ich, dass Sie sich mit Pater Paityrs Gutachten nicht lange genug beschäftigen konnten, um die ganze Tragweite dieser Entwicklung einzuschätzen.«
White Crags Hand zuckte hoch. Er legte sie dezent vor den Mund. Sharleyan vermutete, er müsste ein Lächeln verbergen. Schließlich war besagtes Gutachten lange vor ihr in Chisholm eingetroffen.
»Ein Aspekt dieser Entwicklung, Meine Lords«, fuhr sie gelassen fort und ignorierte die ungebührliche Erheiterung ihres Ersten Ratgebers, »ist es, dass keine Wasserräder mehr notwendig sein werden, um eine Manufaktur zu betreiben. Das bedeutet natürlich, dass man sie jetzt überall errichten kann, nicht nur in der Nähe eines Wasserfalls oder Wasserlaufs. Natürlich bleibt damit immer noch das Problem des Rohstofftransports. Gestatten Sie mir, Ihnen eine Neuentwicklung vorzustellen, an der einer von Meister Howsmyns Handwerkern derzeit arbeitet. Ich gehe davon aus, dass diese Neuerung unser gesamtes Transportsystem deutlich verändern wird. Das, woran da gerade gearbeitet wird, nennt besagter Handwerker ein ›Dampfkraftfahrzeug‹. Es fährt unter dem Antrieb seiner eigenen Dampfmaschine, und damit …«
.XIV.
Charisianische Botschaft,
Siddar-Stadt, Republik Siddarmark,
und
Königlicher Palast,
Fürstentum Emerald, Kaiserreich Charis
Die charisianische Flagge auf dem Botschaftsdach knatterte in der steifen Abendbrise. In der Stadt selbst schwächte sich der Wind zwar ab, aber dafür herrschte dort eine andere Art der Unruhe: Niemandem dort schien zu passen, dass die Hälfte der hier und im
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