Nimue Alban: Der Kriegermönch: Roman (German Edition)
Umland stationierten Truppen abgezogen werden sollte. Das geschah auf Befehl von Reichsverweser Greyghor und Lord Daryus. Die beiden Lenker der Republik waren fest davon überzeugt, Herzog Eastshare müsse schon bald eintreffen. Daher schickten sie nun knapp dreiundzwanzigtausend Soldaten in die Alte Provinz, um die regierungstreu gebliebenen Teile von Shiloh zu verteidigen. Die Bürger von Siddar-Stadt zweifelten nicht am Urteilsvermögen ihrer Regierung. Aber seit dem vergangenen Herbst waren so viele entsetzliche Dinge geschehen, dass sie praktisch täglich mit einer weiteren Katastrophe rechneten.
Cayleb Ahrmahk verstand das gut. Er stand auf dem Balkon, der ihm mittlerweile zu einer Art Lieblingsplatz geworden war, und blickte auf die Stadt hinab. Im Westen versank die Sonne, und Cayleb hatte gerade das allabendliche Gespräch mit Sharleyan beendet, die im weit entfernten Cherayth weilte.
»Ihr wisst«, hörte er hinter sich jemanden in spitzem Ton fragen, »dass sich in den Händen der Tempelgetreuen mittlerweile auch Gewehre befinden, oder?«
»Und worauf wollt Ihr hinaus?«, antwortete der Kaiser mit einer Gegenfrage, ohne sich umzudrehen.
»So wie Ihr hier oben steht und Euch als Ziel praktisch anbietet, wäre es nicht allzu schwer, Euch mit einem solchen Gewehr aufs Korn zu nehmen. Ich wüsste aus dem Stegreif gleich mehrere gute Positionen, von denen aus man vorzüglich auf Euch anlegen könnte.«
»Und dann würde das, was Sharleyan meine ›kugelsichere Leibwäsche‹ zu nennen beliebt, mir zweifellos das Leben retten, nicht wahr?«
»Solange Ihr nicht das Pech habt, am … na, sagen wir mal: Kopf getroffen zu werden, ja. Aber vielleicht solltet Ihr Euch Folgendes ins Gedächtnis rufen: Nach dem letzten Attentat auf sie hat Sharleyan ausgesehen, als hätte jemand sie grün und blau geprügelt. Dabei hatte sie bloß eine Pistolen kugel abbekommen. Meint Ihr nicht auch, dass eine Gewehr kugel deutlich schmerzhafter sein dürfte? Und wenn beispielsweise ein Knochensplitter in Eure Lunge eindränge oder, ach, sagen wir: eine Aorta verletzte: alles andere als schön, wenn ich’s recht bedenke, nicht wahr?«
»Meine Güte, im Augenblick seid Ihr aber wirklich sehr pessimistisch.« Cayleb wandte sich zu seinem Besucher um. »Gibt es einen besonderen Grund, warum Ihr es so darauf anlegt, mir die Laune zu verderben?«
»Manchmal mache ich mir eben Sorgen«, erwiderte Merlin Athrawes ernst. »Selbstverständlich möchte ich Euch nicht in Watte packen und vor jeder Beule und jedem blauen Fleck beschützen, Cayleb. Aber … ihr Menschen aus Fleisch und Blut seid alle so verdammt … fragil . Ich … ich will einfach nicht noch mehr von euch verlieren.«
Die Saphiraugen des Seijin waren seltsam dunkel, dunkler, als sich durch die Lichtverhältnisse der anbrechenden Dämmerung erklären ließe. Cayleb legte seinem hochgewachsenen Leibgardisten die Hand auf die Schulter.
»Wie kommt Ihr denn jetzt auf derlei Gedanken?«, fragte er, und sein Tonfall verriet echte Zuneigung. »Weil Ihr Sharleyan und Mahrak beobachtet habt?«
»Zum Teil, ja.« Merlin zuckte mit den Schultern. »Ich habe auch gesehen, wie sie sich mit Erzbischof Ulys unterhalten hat … Und da musste ich an Erzbischof Pawal denken und an all die anderen, die Clyntahns Schlächtern zum Opfer gefallen sind. Eigentlich sollte mich das Ganze nicht so sehr mitnehmen. Ich meine, selbst wenn man alle Opfer seiner ›Rakurai‹ zusammennimmt, ist das immer noch nur ein Bruchteil dessen, was seine Politik hier in der Republik an Menschenleben gekostet hat. Trotzdem: es nimmt mich mit!« Er wirkte angespannt. »Ich habe viel zu viele dieser Menschen persönlich gekannt, Cayleb. Sie haben mir etwas bedeutet. Und jetzt sind sie nicht mehr da.«
»Solche Dinge passieren.« Die Worte hätten leichthin und beiläufig klingen können, doch so war es nicht. Ein trauriges Lächeln huschte über Caylebs Gesicht. »Und sie erschüttern nicht nur euch theoretisch unsterblichen Seijin -PICAs. Aber die Botschaft ist derart überfüllt, dass ich nur hier oben genug Privatsphäre finde, um mit Sharleyan zu sprechen. Und das ist mir ein gewisses Risiko wert.«
Sanft tätschelte er Merlins Schulter, und der Seijin lachte leise.
»Na ja, dem weiß ich nichts entgegenzusetzen! Aber da Ihr Euch hier oben dieser Privatsphäre nur erfreuen könnt, weil stets der berühmt-berüchtigte Seijin Merlin Euch am Fuße der Treppe die Besucher vom Hals hält, hoffe ich sehr, dass
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