Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
Grenzwehr-Festungen. ›Grenzwehr‹ war die Bezeichnung für die Befestigungslinie, die Raven’s Land vom Territorium des Königreichs Chisholm trennte. Bevölkerungsmäßig gehörte Raven’s Land auf Safehold zu den Kleinstreichen: Nähme man alle Clans zusammen, würde das immer noch nicht die Bevölkerung auch nur eines einziges Herzogtums aufwiegen. Leider waren die Bewohner von Raven’s Land reizbar und gehörten zu den besten Pferde-, Drachen- und Schafdieben der Welt – ach was, sie waren schlichtweg die besten Vertreter dieser Zunft! Genau deswegen hatte man die Grenzwehr ursprünglich überhaupt erst errichtet. Die lange Reihe von Wachtürmen und Festungen (jeweils in zwanzig Meilen Abstand zu den Türmen) durchschnitt über eine Gesamtlänge von rund hundertfünfzig Meilen die Landbrücke, wo Westliches Krongut und Raven’s Land aneinanderstießen. Weil die Wachtürme auf Erhebungen errichtet waren, konnte man von dort aus das Gelände zwischen den Festungen bestens einsehen. Zudem patrouillierten hier, sofern das Wetter halbwegs erträglich war, ständig Trupps. Die relativ kleinen Einheiten, die in den jeweiligen Festungen stationiert waren, besaßen hinreichend Schlagkraft, um sich all der typischen Grenzverletzungen anzunehmen, die bei den Lords von Raven’s Land so bliebt waren. Natürlich konnten auch diese Patrouillen nicht alle Grenzverletzer dingfest machen. Aber Angriffe, die den Clans ernst zu nehmende Beute einbrächten, wurden von den Wachposten bemerkt und unterbunden. Denn in den Festungen waren vor allem Kavalleristen und Dragoner stationiert. Einheiten wie diese hätten sich in Grund und Boden geschämt, wenn sie nicht schneller gewesen wären als diebische Clanmitglieder, die sich mit widerspenstigen Schafen abmühten.
Selbstverständlich hätten die Clans mit Fell- und/oder Fischerbooten die Chisholm-Bucht durchqueren oder im tiefsten Winter zu Fuß über das Eis kommen können. Doch mehr als die ortsansässigen Landeigner zu verärgern ließe sich so nicht erreichen. Erstens verfügte die ICN über leichte Einheiten, das zu unterbinden. Zweitens hatten auch massiv erscheinende Eisdecken die unangenehme Angewohnheit, stets zum ungünstigsten Zeitpunkt zu brechen. Es war also ein äußerst riskantes Unterfangen, die Bucht zu durchqueren. Riskant genug, dass selbst die hartgesottensten der ›Schwingenkrieger‹ es vorzogen, sich an der Grenzwehr zu versuchen (›Schwingenkrieger‹ war der Ehrentitel, der einem jeden Krieger der Lords zustand, der bereits seine Feuertaufe hinter sich und das Blut eines Gegners vergossen hatte).
Aber auch wenn wir nicht alle Grenzverletzer erwischen, ist es doch immer noch eine gute Gefechtsübung – für beide Seiten , dachte Thairis und grinste. Außerdem machen wir das jetzt schon so lange, dass wahrscheinlich alle Beteiligten furchtbar enttäuscht wären, wäre es plötzlich mit dieser schönen Tradition vorbei!
Doch die kleine Reitergruppe, die in dem unablässigen Schneeregen stetig auf die Festung zuhielt, auf deren Brüstung Eastshare stand, bemühte sich nicht einmal sonderlich um Unauffälligkeit.
»Ich frage mich, zu welchem Schluss der Rat gekommen ist«, sagte er zu dem Mann neben ihm.
»Ach, ich gehe davon aus, dass sie zugestimmt haben, Euer Durchlaucht.« Kynt Clareyks Lächeln fiel unverkennbar säuerlich aus. »Ich bezweifle, dass sich auch nur ein einziger der Lords vorstellen kann, was für eine gewaltige Truppe Sie durch Raven’s Land führen wollen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass auch denen eines klar ist: Aufhalten können sie Ihre Truppen auf keinen Fall, ganz egal, was sie versuchen. Das heißt natürlich nicht, dass sie Ihnen nicht nach Kräften das Leben vermiesen könnten! Deswegen vermute ich, wirklich wichtig ist für die nur, wie viel wir ihnen wohl dafür zu zahlen bereit sind, nicht ständig schikaniert zu werden.«
»Das ist aber eine sehr … charisianische Einstellung«, bemerkte Thairis mit heiter blitzenden Augen.
»Geld bewegt die Welt, Euer Durchlaucht. Ich gebe wohl zu, dass auch Wind, Wetter und die Gezeiten sie in Bewegung halten. Aber wenn es darum geht, Menschen zu etwas zu bewegen, na ja …«
Clareyk zuckte mit den Schultern, und Thairis lachte leise. Wohl wahr, Baron, wohl wahr! , dachte er.
»Dann ist es sicher gut, dass das Kaiserreich im Augenblick über mehr Geld verfügt als andere Mitspieler«, spann er den Gedanken laut weiter. »Natürlich bleibt da immer noch die Frage, wie
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