Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
immer wieder: Attentate haben nur allzu leicht unerwünschte Nebenwirkungen. Manchmal scheint auf den ersten Blick alles genau wie gewünscht zu funktionieren. Aber selbst dann kann man nicht abschätzen, welche Auswirkungen sich langfristig ergeben. In anderen Fällen wiederum läuft es ganz anders: Stellen Sie sich doch nur vor, wie die Lage jetzt aussähe, wenn Nahrmahn Erfolg dabei gehabt hätte, Hektor ermorden zu lassen! Vielleicht ist Ihnen ja schon aufgefallen, dass wir ernst zu nehmende Schwierigkeiten haben, weil Clyntahn den Befehl ausgegeben hat, Hektor zu ermorden! Man hat uns die Schuld dafür gegeben, obwohl wir nicht das Geringste damit zu tun hatten. Es gibt auf der Gegenseite wirklich einige, die ich nur allzu gern aus dem Weg räumen würde, Ehdwyrd. Aber das werde ich nicht tun, solange mir noch eine andere Wahl bleibt.«
Howsmyn nickte. Er hatte das Tor zu den Delthak-Werken fast erreicht, und hier gab es deutlich mehr Fußgänger als zuvor. Deswegen blieb ihm für sein Gespräch mit dem Seijin kaum noch Zeit. Außerdem ließe sich Merlin, was Attentate anging, von ihm ohnehin nicht umstimmen. Er war sich selbst nicht einmal sicher, ob er Widersacher durch Mord aus dem Weg geschafft wissen wollte. Merlins Meinung dazu klang in Howsmyns Ohren bestechend logisch … ganz abgesehen davon, dass auch er genau wusste, wie moralisch verwerflich es Merlin fände, Gott zu spielen: persönlich auszuwählen, wer überleben durfte und wer zu sterben hatte! Leute wie Langhorne oder Chihiro mochten sich in einer solchen Rolle wohlfühlen, aber gewiss nicht Merlin Athrawes.
Ehdwyrd Howsmyn wollte gar nicht darüber nachdenken, in welche albtraumartige Situation ganz Safehold geriete, wenn sich Merlin in jemanden wie Langhorne oder Chihiro verwandelte!
»Eines ist mir aufgefallen: Thirsk und Bischof Staiphan haben sich sehr bemüht, Zhwaigair den Rücken zu decken, als Thirsk die neuen Ideen vorgetragen hat«, sagte er stattdessen.
»Mir auch«, stimmte Merlin unbestreitbar zufrieden zu. »Maik ist ein weiterer Beleg dafür, dass selbst in Kirchenkreisen der eine oder andere eigenständig zu denken beginnt … und dabei bemerkt, dass er nicht nur sich selbst, sondern auch andere vor Clyntahn beschützen muss.«
»Ich wünschte wirklich, Thirsk hätte genug Rückgrat, um zu begreifen, wen er mit diesen Neuerungen letztendlich unterstützt«, fuhr Howsmyn grimmig fort. »Klar, er kann nur verdammt wenig unternehmen. Er ist auch ein hohes Risiko eingegangen, damals, um Gwylym und den anderen wenigstens ein bisschen zu helfen. Aber ich muss eben doch daran denken, wie Coris auf die Lage reagiert hat und sich seine Prinzessin Irys derzeit verhält.«
»Ehrlich gesagt habe ich mit Thirsk Mitleid«, gestand Merlin leise. »Ich halte ihn für einen guten Menschen, einen echten Ehrenmann. Jetzt ist er zwischen Pflichtgefühl, Glauben, Moral und nackter Angst hin und her gerissen. Die gilt sicher nicht ihm selbst, und vermutlich ist es auch nicht Angst um die Heimat.«
»Ach, meint er etwa, wir alle würden unsere Seelen an Shan-wei verlieren, wenn unsere ›Ketzerei‹ Erfolg hat?« Howsmyn klang skeptisch.
»Das spielt dabei zumindest eine Rolle, ja. Sie sollten doch am besten wissen, wie schlimm es ist, plötzlich erkennen zu müssen, dass man sein ganzes Leben lang belogen und betrogen wurde, Ehdwyrd. Und im Gegensatz zu Thirsk hatten Sie wenigstens einen … na, sagen wir, Sie hatten mit mir jemanden, der Sie ein Stück weit auf dem Weg begleiten konnte. Genau das hat Thirsk nicht, und bei ihm sind Glaube und Gottvertrauen wirklich tief verwurzelt. Dennoch: Ob er selbst das schon begriffen hat oder nicht, ich glaube, er hat mittlerweile den Rubikon überschritten.«
»Den was?«
»Verzeihung, wieder so eine Redensart von Terra! Es geht vordergründig um die Überquerung eines Flusses. Aber gemeint ist, dass man eine unwiderrufliche Entscheidung zu treffen oder etwas zu unternehmen hat, das sich nicht mehr ändern lässt. Zumindest Thirsk und vielleicht in gewissem Maße auch Maik sind sich bewusst, dass die Reformisten recht haben. Keiner der beiden kann im Augenblick allzu viel unternehmen, gewiss. Aber beide sind sich selbst gegenüber ehrlich genug, um zu erkennen, dass sie sich mit einigen Dingen abfinden müssen, die schlichtweg böse sind und keinesfalls im Sinne Gottes. Aber es erscheint mir ungerecht, Thirsk mit Coris zu vergleichen. So sehr ich Coris zu respektieren gelernt habe – in gewisser
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