Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
geradezu entsetzt gewesen. Irys, hochwohlgeboren und in zarten Jahren, die Schwester des rechtmäßigen Fürsten von Corisande – an Bord eines charisianischen Kriegsschiffs ohne Schutz für ihre Sicherheit und ihre Tugend!
Doch nicht ein einziger Charisianer – kein Matrose, kein Marineinfanterist, kein Offizier; wirklich kein einziger! – hatte sich Irys gegenüber auch nur die geringste Unhöflichkeit erlaubt. Gewiss, all diese Männer waren seit Monaten ohne Unterbrechung auf See, manche von ihnen sogar noch deutlich länger. Keiner von ihnen hatte die ganze Zeit über den Duft einer Frau eingesogen. Daher folgten Irys stets geradezu ehrfürchtige Blicke, wann immer sie an Deck kam. Trotzdem war die Prinzessin davon überzeugt, dass keiner dieser Männer sie jemals anrühren würde – selbst wenn ihnen nicht völlig klar wäre, was die Offiziere an Bord dann mit ihnen anstellen würden. Ach, gewiss, der eine oder andere mochte durchaus in Versuchung geraten. Das hier waren schließlich Menschen: echte Männer, keine Heiligen. Doch in dem Augenblick, wo sich tatsächlich einer der Matrosen zu etwas Unziemlichem erdreisten sollte, würden seine eigenen Kameraden ihn schlichtweg in Stücke reißen – ganz zu schweigen davon, was Tobys Raimair und der Rest von Irys’ Leibgardisten dann unternähmen.
Nein, nicht einmal im Palast ihres Vaters hätte sich Irys Daykyn sicherer fühlen können als hier auf diesem Kriegsschiff eines feindlichen, der Ketzerei anheim gefallenen Kaiserreichs. Genau das war der Grund dafür, dass der Prinzessin so leicht ums Herz war. Zum ersten Mal seit viel zu langer Zeit wusste sie sich und, was noch viel wichtiger war, ihren Bruder in Sicherheit. Und der drahtige junge Mann in der Uniform der Imperial Charisian Navy, der neben ihr stand, war ein wichtiger Grund dafür.
Aus dem Augenwinkel blickte sie ihn an. Er beobachtete gerade Daivyn und grinste dabei übers ganze Gesicht. Es ließ den Lieutenant geradezu absurd jung aussehen. Andererseits war er ja auch wirklich jung, mehr als zwei Jahre jünger als Irys selbst. Aber das ließ sich leicht vergessen. Irys brauchte nur daran zu denken, wie seine Stimme plötzlich die Dunkelheit durchschnitten hatte. Damals hatte er seine Männer gegen die delferahkanischen Dragoner angeführt, die ihnen im Verhältnis von mehr als zwei zu eins überlegen gewesen waren – und das alles, um Irys und ihren Bruder zu retten. Sie brauchte nur an den gnadenlosen Blick aus seinen braunen Augen im Mondlicht zu denken. An das Mündungsfeuer seiner Pistole, als er dem Inquisitor eine Kugel durch den Kopf gejagt hatte: einem Inquisitor, der versucht hatte, die Dragoner durch einen Trick dazu zu bewegen, das corisandianische Geschwisterpaar zu ermorden. Sie dachte daran, welche Kompetenz der Lieutenant an den Tag gelegt hatte und wie selbstsicher er während der Fahrt den Sarm hinab aufgetreten war. Und daran, wie er völlig ohne Scheu hier an Bord der Destiny Befehle an Männer ausgab, die gut dreimal so alt waren wie er selbst.
Wirklich gut aussehend wird er nie sein , dachte sie. Ganz ansehnlich vielleicht, aber nicht übermäßig hübsch. Aber was jedem Betrachter sofort ins Auge fallen musste, war die unbändige Energie, die er verströmte, seine Entschlussfreudigkeit und sein flinker Verstand. Und Selbstvertrauen. Wieder dachte die Prinzessin an jene mondhelle Nacht und an Admiral Yairleys Worte, als sie an Bord der Destiny gegangen waren. Er hatte diesem jungen Lieutenant in ihrem Beisein etwas erklärt, von dem Irys vermutete, es habe eher ihr gegolten, nicht seinem Untergebenen. Aber schließlich war sie eine Prinzessin. Sie kannte die Regeln des Spiels im Umgang mit dem Hochadel. Deswegen war sie dem Admiral für seine deutlichen Worte immens dankbar. Der Lieutenant habe, so sagte der Admiral, eigenmächtig gehandelt, um seine Mission zu erfüllen – und dabei zufälligerweise einer gewissen Prinzessin das Leben zu retten. Jeder vernünftige Mensch aber hätte einfach den Rückzug angetreten. Bemerkungen, die einer der Matrosen während der Fahrt flussabwärts hatte fallen lassen, hatten Irys das bereits vermuten lassen. Doch der Lieutenant hatte ihren Dank einfach leichthin abgetan. Die Prinzessin besaß für ihr Alter beachtliche Reife. Das ließ sie fragen, wie viele derart junge Männer angesichts eines solchen Lobs Abstand davon genommen hätten, sich in der Bewunderung einer jungen Frau zu sonnen.
»Dieser Fisch wird ihn doch noch ins
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