Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
bekleidet und ständig beäugt von einfachen Matrosen und tätowierten Petty Officers. Es geziemte sich einfach nicht, dass der rechtmäßige Fürst von Corisande vor Begeisterung kreischte und quietschte, während er mit dem Fisch an seiner Angel rang. Es gehörte sich auch nicht, dass er – bei ruhiger See und immer schön unter Aufsicht – bis zur Großmars hinaufkletterte, zusammen mit einem halben Dutzend Midshipmen, die höchstens ein oder zwei Jahre älter waren als der Prinz selbst. Irys hätte entsetzt sein müssen, hätte darauf beharren müssen, dass er stets an – oder noch besser: unter – Deck bliebe: in Sicherheit. Zweifellos hätte sie niemals zulassen dürfen, dass Lieutenant Aplyn-Ahrmahk den Jungen auch noch dazu anstachelte, sich derart ungebührlich zu betragen. Das alles wusste Irys, und sie wusste auch, was für entsetzliche Folgen es hätte, wenn Daivyn Daykyn etwas zustieße, solange er sich in charisianischer Obhut befand. Gar nicht auszudenken!
Aber das alles war bedeutungslos. Gut, Daivyn war ihr Fürst, ihr rechtmäßiger Regent; sein Leben war entschieden zu wichtig, um es zu gefährden. Aber zugleich war Daivyn eben auch ihr kleiner Bruder – ihr Bruder, der immer noch lebte, obwohl man bereits versucht hatte, ihn umzubringen. Zum ersten Mal, seit sie beide aus Corisande geflohen waren, sah sie ihn rückhaltlos lachen. Daivyn war glücklich. Er hatte die Kindheit wiederentdeckt, die ihm Zhaspahr Clyntahn und der Rest der Welt viel zu früh gestohlen hatten. Es war Irys eine wahre Freude mitanzusehen, wie ihr kleiner Bruder diese wiedergewonnene Kindheit nach Herzenslust auskostete.
Nichts von alledem wäre möglich, wäre da nicht dieser Herzog von einfachster Herkunft gewesen, der nun schweigend neben der Prinzessin von Corisande stand.
»Danke«, sagte sie unvermittelt.
»Wie meinen, Hoheit?« Rasch blickte er sie an, und Irys lächelte.
»Das galt nicht nur Ihnen, Lieutenant«, versicherte sie ihm und fragte sich unwillkürlich, ob das überhaupt die Wahrheit war. »Das gilt der ganzen Besatzung der Destiny . Seit mehr als zwei Jahren habe ich Daivyn nicht mehr so glücklich erlebt. In all der Zeit hat ihm niemand gestattet, einfach herumzutollen und ein kleiner Junge zu sein. Deswegen …« Wieder tätschelte sie Aplyn-Ahrmahk den Unterarm. Ihr Blick verschleierte sich, und ihre Stimme bebte. »Ich danke Ihnen allen für dieses Geschenk. Und ich danke Ihnen dafür, dass ich meinen kleinen Bruder wieder so erleben darf.« Sie räusperte sich. »Und wenn es einem Offizier Seiner Majestät des Kaisers nicht zu peinlich ist, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie diesen Dank auch Sir Dunkyn ausrichten würden.«
»Ich werde mich mühen, die Scham, die damit einhergeht, es dem Admiral auszurichten, würdevoll zu ertragen, Hoheit«, versprach der Lieutenant ihr, und seine Mundwinkel zuckten. »Es wird mir gewiss schwerfallen, aber ich werde mich redlich bemühen.«
.VI.
Am Siddar,
Provinz Shiloh,
Republik Siddarmark
»Würdet Ihr bitte wieder hereinkommen, Eure Eminenz?«
Über seine Schulter hinweg schaute Erzbischof Zhasyn Cahnyr zu dem deutlich jüngeren Mann hinüber, der in den Innenhof der Herberge getreten war. Gharth Gorjah blickte ihn vorwurfsvoll an, die Hände herausfordernd in die Hüften gestemmt. Als Cahnyr ihn nur verständnislos anschaute, stieß er aufgebracht den Atem aus. In der abendlichen Kälte bildeten sich sofort kleine Wölkchen vor seinem Mund. Der eisige Wind, der über den zugefrorenen Siddar fegte, zerriss sie fast augenblicklich: noch etwas, das Cahnyr tunlichst verdrängte.
»Ich wollte doch nur ein wenig frische Luft schnappen, Gharth«, sagte er milde.
»Frische Luft, ja?« Der Pater schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Noch ein bisschen frischer, und Ihr würdet Euch augenblicklich in einen Eiszapfen verwandeln, Eure Eminenz! Madame Pahrsahn hat mir ausdrücklich aufgetragen, auf Euch achtzugeben. Ich bin mir sicher, sie hat damit nicht gemeint, ich solle tatenlos zusehen, wie Ihr Euch in dieser Kälte den Tod holt.«
Cahnyr gestattete sich ein Lächeln und fragte sich, wann er zum letzten Mal selbst etwas hatte entscheiden dürfen. Wann war ihm eigentlich die Kontrolle über seinen eigenen Haushalt entglitten? Es war ja sehr nett von den beiden, zumindest anderen gegenüber nach wie vor die Illusion aufrechtzuerhalten, sie würden sich seinen Entscheidungen fügen. Zumindest, wenn es um so unbedeutende Kleinigkeiten ging, ob
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