Nimue Alban: Kampf um die Siddarmark: Roman (German Edition)
Wasser ziehen, Harnisch hin oder her!«, sagte sie nun, als Daivyn immer weiter nach vorn gezogen wurde, so sehr er sich auch gegen die Angelrute stemmte.
»Ach, Unfug!« Aplyn-Ahrmahk lachte auf. »Der Junge ist doch gar nicht kräftig genug, die Angel festzuhalten, wenn die Sicherheitslinie erst einmal gespannt ist!«
»Sie haben leicht reden!«, meinte Irys.
»Hoheit, sehen Sie den Burschen, der da rechts neben Seiner Hoheit steht – den mit den ganzen Tätowierungen?« Irys blickte zu besagtem Matrosen hinüber und nickte dann. »Das ist Zhorj Shairwyd. Er ist nicht nur einer der besten Petty Officers an Bord dieses Schiffes, sondern auch der erfolgreichste Ringer des ganzen Geschwaders und einer der stärksten, schnellsten Männer, die ich kenne. Wenn es auch nur so aussieht, als könnte Ihr Bruder tatsächlich über die Reling gehen, werden Sie es sehen: Shairwyd wird ihn, die Angelrute und alles, was daran hängt, schneller an Deck haben, als sich eine Katzenechse auf eine Spinnenratte stürzen kann. Ich habe … ich meine, Captain Lathyk hat ihn nicht nur zufällig dafür ausgesucht, Seine Hoheit im Auge zu behalten.«
»Ich verstehe.« Bewusst ging Irys nicht auf den kleinen Versprecher des Lieutenants ein. Doch wo sie jetzt darüber nachdachte, fiel ihr auf, dass sich Aplyn-Ahrmahk anscheinend immer dann an Deck befand, wenn auch Daivyn gerade dort war. Ganz offenkundig konnte der Prinz diesen Lieutenant gut leiden. Aplyn-Ahrmahk ging mit dem Jungen viel gelassener und natürlicher um als die meisten anderen Offiziere an Bord von Yairleys Flaggschiff.
»Sagen Sie, Lieutenant«, erkundigte sich Irys, »haben Sie noch Geschwister?«
»Oh ja, bei Langhorne!« Er verdrehte die Augen. »Ich bin ziemlich genau der Mittlere in unserer Familie. Ich habe drei ältere Brüder, eine ältere Schwester, eine jüngere Schwester und dazu noch zwei jüngere Brüder.« Angesichts dieser beachtlichen Aufzählung weiteten sich Irys’ Augen, und der Lieutenant lachte stillvergnügt in sich hinein. »Zwei der älteren Brüder und meine beiden jüngeren Brüder sind jeweils Zwillinge, Hoheit. Mutter hat immer gesagt, eigentlich habe sie gedacht, vier Kinder würden ausreichen, sie könnte aber auch mit fünf gut leben. Auf acht aber hätte sie sich, vorher gefragt, nie eingelassen. Nun hat Vater ihr nie erzählt, dass in seiner Familie Zwillingsgeburten recht häufig auftreten. Das behauptet sie jedenfalls gern. Aber meine Eltern kannten einander schon, als sie noch Kinder waren, und auch Vater hatte Zwillingsbrüder. Deswegen habe ich nie so recht geglaubt, dass sie davon nichts gewusst haben soll. Trotzdem muss ich schon sagen, dass es eine echte Erleichterung für meine Eltern war, mich und zwei meiner Brüder zur See schicken zu können.«
»Das kann ich mir denken«, murmelte Irys und versuchte sich vorzustellen, wie es wohl wäre, sieben Geschwister zu haben. So viel Familie! Irys begriff, dass sie den jungen Mann an ihrer Seite beneidete. Wahrscheinlich konnte Aplyn-Ahrmahk so unbefangen mit Daivyn umgehen, weil er mit so vielen Geschwistern aufgewachsen war. Doch vielleicht lag es auch daran, unter welchen ungewöhnlichen Umständen der Lieutenant in den Adelsstand gelangt war. Er war ein Herzog, ein Angehöriger des Hauses Ahrmahk – auch wenn er ›nur‹ adoptiert war. Irys war mit den Gepflogenheiten des charisianischen Adels längst nicht so vertraut, wie ihr das lieb gewesen wäre – vor allem angesichts der jetzigen Umstände. Aber sie war sich doch recht sicher, dass es im Kaiserreich höchstens eine Hand voll Adeliger gab, die in der Thronfolge Vorrang vor Herzog Darcos hatten. Und doch war er als einfacher Bürgerlicher geboren, war nur ein Kind einer großen, fröhlichen, offenkundig glücklichen Familie. Diese Familie hatte sicher nie im Traum daran gedacht, in welch gesellschaftliche Höhen einer ihrer Söhne dereinst aufsteigen mochte. Aplyn-Ahrmahk hatte nicht die Not eines Bürgerlichen, der sich sorgen musste, sich einem Angehörigen des Hochadels gegenüber unziemlich zu verhalten. Andererseits sah er in dem Zehnjährigen mit sonnengebleichtem, zerzaustem Haar nur das, nämlich einen Jungen, nicht den rechtmäßigen Herrscher eines ganzen Reiches, dem man gefälligst den gebührenden Respekt zu zollen hatte.
Bedachte man die Etikette, war die Situation an Bord natürlich inakzeptabel. Daivyn hatte nicht einfach barfuß über das Deck eines Kriegsschiffs zu stapfen, nur mit einer kurzen Hose
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