Ninis - Die Wiege der Baeume
Stämmen gab es zudem zahlreiche Wurzelstücke oder mit Moos bewachsene Reste von Baumstümpfen, die aus der Erde ragten.
Karlema wusste, dass sich, wenn das Laub der Bäume die Sicht freigeben würde, der Umriss eines noch viel größeren und älteren Baumes erkennen ließe. Dieser Baum musste mehrere Hundert Fuß breit gewesen sein. Inzwischen ließen sich nur noch Teile seiner Wurzeln erkennen. An einigen Stellen hatten die Wurzelreste Öffnungen, die ihr Volk behutsam benutzt hatte, um Treppen in das Holz zu schneiden, die in eine riesige ausgehöhlte Wurzel unterhalb von Menisis führten.
Feierlich ging sie die Stufen hinab, für sie galt die hier geschaffene gewaltige Grotte als Quelle ihrer Kraft und Bindung zur Erde. Sie liebte die Legenden, die überlieferten, dass die Wurzel den ersten Baum auf Ninis gestützt hatte. Gemäß ihrer Anordnung wurde im Tempel traditionell kein Feuer angezündet. Jede Familie der Lamenis brachte einen Kristall mit, der Sonnenlicht speicherte und über längere Zeit abgab. Während sich an diesem Abend der Tempel füllte, schien bereits alles in einem weichen Licht.
Karlema lächelte, an vielen Stellen der gigantischen Höhle drangen Wurzeln der jüngeren Bäume ein, das unterirdische Erbe des alten Baumes gab allen Halt. Um die Wartezeit zu verkürzen, wurden Brot und gegorener Beerensaft gereicht. Die Lamenis genossen die Geselligkeit, wobei sie einigen ansehen konnte, dass sie den gegorenen Beerensaft nur allzu gerne mochten. Sie empfand die Regeln, dass es nur zu Festlichkeiten etwas Gehaltvolleres als Wasser gab, als sehr gute Voraussetzung, stets gut besuchte Rituale abzuhalten.
In der Mitte befand sich eine Erhöhung aus glatt geschliffenem Wurzelholz. Ein Raunen machte die Runde, als sie den Altar betrat, ihr Volk huldigte ihr, der Hohepriesterin und geistigen Führerin der Lamenis, wie es ihr gebührte. Im Kristalllicht schimmerte ihre Robe festlich. Sie hatte sich zu diesem Anlass ein besonders kostbares Lederkleid anfertigen lassen. Ein erhabener Moment für alle Anwesenden, ihrem Ritual beiwohnen zu dürfen.
Yirmesa sprang beinahe das Herz aus der Brust. Das Murmeln der Menge verstummte, als Karlema die Arme in die Höhe streckte. Die Alte gab ihr ein Zeichen, sich neben sie zu stellen. Ruhe kehrte ein, sie ging die wenigen Stufen auf den hölzernen Altar hoch. Yirmesas Schuppen schimmerten blauschwarz auf der Haut.
„Ganz ruhig, Kleine … ich bin bei dir.” Karlema nahm ihre Hand und führte sie in die Mitte. Yirmesa konzentrierte sich und dachte an das kühle Nass in ihrem kleinen See. Die Worte von Karlema konnten sie nicht beruhigen. Sie wollte schreien! Ihr Herz raste, sie spürte das Blut in den Adern pulsieren. Es wurde dunkler. Stille. Bei nahezu völliger Dunkelheit stieg die Decke der Wurzelhöhle langsam nach oben und verschwand in der Ferne.
Karlema blickte verwundert zu Levinie, die sich nur wieder gedankenversunken an ihrer Halskette festhielt und ihren eigenen Handrücken küsste. Das machte sie jedes Mal, wenn sie nicht mehr weiter wusste. Sie sah auch, wie die Menge der Lamenis gebannt dem Schauspiel folgte. Ein flaues Gefühl kroch ihr durch den Leib.
Das Glühen nahm zu, die schwarze Lichisrose glich einem feuerroten Edelstein, der stetig an Helligkeit gewann. Die Sterne am Nachthimmel reagierten auf das Licht der Rose. Sie setzten sich in Bewegung und fielen den Monden entgegen, die intensiv an Helligkeit zunahmen. Karlema blickte verunsichert nach oben, dann zu Yirmesa und wieder zu Levinie.
Die Lamenis staunten über diese Pracht, denn die Kraft des Lichtes überstrahlte alles. Die drei Monde rückten auf eine Position zusammen, wodurch sich eine Säule gleißenden Lichts auf Yirmesa hinabsenkte. Karlema schützte blinzelnd ihre Augen, sie sah aber zu ihrer Verwunderung keine Furcht in den Mienen der Zuschauer. Alle blickten fortwährend zur Trägerin der schwarzen Lichisrose. Ihr eigener Instinkt hingegen schrie wie ein wildes Tier.
Karlema schaute Levinie unruhig an: „Deine blöde Halskette wird uns nicht helfen. Sag mir lieber, was mit deiner Kleinen passiert?”
„Bitte setz dich! Lass es einfach passieren.”
Sie konnte die Gelassenheit von Levinie nicht verstehen, diese Unvernunft ärgerte sie maßlos. Zudem erschreckte sie Yirmesas Trancezustand, die Dinge drohten ihr aus den Händen zu gleiten. Sollte sie das Ritual abbrechen?
Die Lichtsäule strahlte grell in den Raum und durchdrang auch die seitlichen
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