Ninotschka, die Herrin der Taiga
zu heiraten, ein Gottesgeschenk. Ich meine das ehrlich. Das geht schon daraus hervor, daß ich als Nihilist Trauzeuge in einer Kirche bin.«
»Amen!« sagte Vater Eftemian laut. »Das ist eine gute Predigt. Was soll man ihr noch hinzufügen! Kniet nieder, ihr Gotteskinder, und reicht euch die Hände.«
Borja und Ninotschka gehorchten. Lukow und Plisky traten hinter sie und hielten die kleinen Kronen aus Messing über die Köpfe der Brautleute, jene Kronen, die Glück und Reichtum in der Ehe symbolisieren sollen.
Dann segnete Vater Eftemian die beiden, ließ sie das Kreuz küssen und reichte ihnen Brot, Wein und Salz. Davon und mit der Liebe zusammen kann ein Mensch leben …
Nach der Trauung waren es nur noch zehn Minuten, die Borja und Ninotschka allein bleiben durften. Sie standen an einer der Säulen und hielten sich an den Händen. General Lukow und alle anderen Anwesenden hatten sich in den Hintergrund der Kirche zurückgezogen. Der fremde Mann neben der Tür saß noch immer unbeobachtet hinter der Säule, hatte die Stirn gegen den kalten Stein gedrückt und schluchzte in sich hinein.
»Was hast du Neues erfahren, Ninotschka?« fragte Tugai und streichelte ihr Gesicht.
»Nichts, Borjuschka. Alle schweigen.«
»Wann geht unser Transport nach Sibirien?«
»Keiner weiß es. Die Fürstin Trubetzkoi meint, man habe Angst, euch vor aller Augen wegzuschaffen. Wenn ihr abtransportiert werdet, dann heimlich in der Nacht. Man will alle Demonstrationen vermeiden.«
Tugai zog Ninotschka an sich. Meine Frau! dachte er. Die schönste Frau Rußlands … Aber gleich wird Lukow winken, und dann sind die Minuten des Träumens vorbei.
»Dann bleiben wir noch länger in Petersburg«, sagte Borja. »Bald kommt der Winter. Man wird uns nicht auf eine Schneewanderung schicken. Da werden sogar die Kosaken sich wehren. O Ninotschka …« Er küßte sie, hielt sie an sich gepreßt und blickte über ihren Kopf hinweg zu General Lukow. Der nickte ihm kurz zu.
»Es ist Zeit, mein Freund. Die Stunde ist um. Nehmt Abschied … ich sehe solange zur Seite.«
»Wir werden uns jede Woche sehen?« fragte Borja mit rauher Stimme.
»Ich komme an jedem Besuchstag.« Ninotschka klammerte sich an ihn und war so tapfer, nicht zu weinen, sondern sogar zu lächeln. »Mein Mann! Mein Mann Borja Tugai! Wie herrlich das klingt! O Borja, man wird uns auch in Sibirien nicht trennen.«
Lukow winkte ihnen, und Tugai nickte. Er umfaßte Ninotschkas Gesicht mit beiden Händen und sah sie an. »Leb wohl … Ich liebe dich …«
»Kann ich Borja bis zur Tür bringen?« fragte Ninotschka. Sie streichelte dabei die Stirn ihres Mannes und wischte ihm schnell die Tränen aus den Augenwinkeln.
»Ja, aber rasch.« Lukow gab seiner Stimme einen harten Klang. »Wir haben die Zeit schon überschritten. Gehen wir.«
Er wußte, draußen wartete eine Abteilung Soldaten, um die Gefangenen in ihre Zellen zurückzuführen.
Borja ließ Ninotschka los und drehte sich um. »Ich danke euch, meine Freunde«, sagte er mit fester Stimme. »Wenn wir unsere Strafe überleben und uns wiedersehen, soll diese Stunde gefeiert werden. Sehen wir uns nicht wieder, so wißt: was heute geschehen ist, hat mir Kraft gegeben. Es ist das Brot, von dem ich in der Taiga leben werde.«
Vater Eftemian voran, gingen sie zur Tür, langsam, als spiele hinter ihnen die Orgel und sänge der Chor, so, wie es am Neujahrstag gewesen wäre, an dem Ninotschka hätte heiraten sollen.
Kurz vor der Tür trat der einsame Mann, der bis jetzt gewartet hatte, hinter seiner Säule hervor.
General Lukow griff nach seinem Degen. »Wie kommen Sie hier herein? Ich hatte befohlen …«
»Ein alter Mann und einige Rubel erzeugen Mitleid.«
»Väterchen«, sagte Ninotschka mühsam. »Warum bist du gekommen?«
»Ich wollte es sehen.« Graf Koschkin wischte sich über die Augen. »Mein einziges Kind heiratet … und ich soll nicht dabeisein? Der Segen eines Vaters ist ebensoviel wert wie der Segen eines Popen. Ich habe still hinter der Säule gesessen und für dich gebetet und geweint.«
Er blickte Tugai an. »Borja, mein Sohn«, sagte er mit zitternder Stimme, »sei stark! Du hast Jahre vor dir, vor denen der Teufel zittert. Ich will nicht mehr fragen, ob dies alles nötig war. Du bist jetzt Ninotschkas Mann. Komm wieder … mehr kann man keinem wünschen, der nach Sibirien geht.«
Er griff unter den Mantel und holte einen Ledersack hervor. »Mein Geschenk, Töchterchen. Ich gebe es dir hier, weil du nicht
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