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Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mehr nach Hause kommen willst. Du wirst es brauchen können. Es sind dreißigtausend Rubel.«
    »Dreißigtausend Rubel …«, sagte Lobkonow. »Mein Gott, was für eine Summe. Mach den Sack auf, Borja, ich habe noch nie so viel Geld auf einem Haufen gesehen.«
    »Wenn das bekannt wird«, meinte Lukow dumpf, »macht es alle Wegelagerer und Räuber in Sibirien mobil.«
    »Wir haben Gewehre und Pistolen bei uns!« rief Miron. »Und ich werde nachts auf dem Geldsack schlafen.«
    »Nimm es, Ninotschka.« Koschkin senkte den weißhaarigen Kopf. »Geld … das ist übriggeblieben von all den Träumen, die nach deiner Hochzeit wahr werden sollten. Geld, um sich ein bißchen Glück zu kaufen. Gott sei mit dir, Töchterchen!«
    Ninotschka breitete die Arme aus und zog ihren Vater an sich. Und sie küßten sich, und beide waren überzeugt, daß dies nun wirklich das letzte Mal war.
    »Sie werden in Kürze abtransportiert«, flüsterte Koschkin seiner Tochter ins Ohr. »Ich weiß es vom Ersten Kammerherrn des Zaren. Irgendwann Anfang Dezember. Es ist geheim.«
    Und Ninotschka flüsterte zurück: »Gott segne dich, Väterchen. Das ist mein wertvollstes Hochzeitsgeschenk. Grüß Mütterchen von mir …«
    Dann ging alles sehr schnell. Draußen nahmen die Soldaten die Gefangenen in Empfang, Ninotschka und ihre Begleiter stiegen in die Kutsche, in der sie gekommen waren, Miron schwang sich auf den Bock und trieb die Pferde an. Nur General Lukow und Graf Koschkin blieben zurück. Sie standen unter dem Vordach des Eingangs und starrten schweigend vor sich hin. Hinter ihnen warf Vater Eftemian die Kirchentür zu.
    Am 9. Dezember 1826, gegen Mitternacht, verließen zwanzig breite Schlitten die Peter-Pauls-Festung. Im Stroh, verborgen unter Planen, in Decken eingewickelt, lagen die Verbannten. Eine Abteilung Kosaken umkreiste die dunkle Schlittenkolonne auf ihren schnellen, struppigen Pferdchen.
    Es schneite seit Tagen, dicke, schwere Flocken, die das Land zudeckten und jeden Laut erstickten.
    Auf dem flachen Land hinter Petersburg versanken die Dörfer und wurden die Felder zu weißen Wüsten, über die der Wind den Schnee wie weißen Staub blies. Die Wälder wurden zu wundersamen, glitzernden Riesengebilden. Noch war der Frost nicht so groß, daß die Bäume zersprangen in der Kälte und starben. Aber das Leichentuch des Winters lag schon über ihnen, die Äste zur Erde biegend, alles Leben erdrückend. Es würde ein sehr harter Winter werden.
    Die von den Frauen ausgestellten Wachen, die Tag und Nacht die Festung beobachteten, gaben Alarm. Reiter jagten zu den Häusern und Palästen der Dekabristen, der Ruf pflanzte sich fort: »Sie ziehen los! Jawohl, jetzt um Mitternacht! Keiner soll es sehen! Sie nehmen die Poststraße nach Moskau! Zwanzig Schlitten sind es! Nein, man hat noch keine Namen. Man weiß nicht, wer alles unterwegs ist, aber der nächste Posthalter wird die Liste kennen.«
    Von allen Seiten jagten nach einer Stunde die Schlitten heran und trafen auf dem großen Platz vor dem Petrowsky-Tor der Festung zusammen. Der Schnee war zerstampft und von Schlittenspuren durchzogen, die Zugbrücke zum Festungseingang noch heruntergelassen. Die Gefangenen waren also fort.
    Die Wachsoldaten allerdings antworteten auf keine Frage und nahmen auch die Rubel nicht an, die man ihnen hinhielt. Sie wußten, daß sie von den Offizieren beobachtet wurden.
    »Es hat keinen Sinn!« rief die Fürstin Trubetzkoi schließlich. Sie stand in ihrem großen Schlitten, der vollgepackt war mit Bettzeug, Kisten und Säcken und dem die drei besten Pferde aus dem Gestüt der Trubetzkois vorgespannt worden waren.
    »Von diesen Idioten erfahren wir nichts! Zur nächsten Poststation! Mit unseren schnellen Schlitten holen wir unsere Männer vielleicht noch ein.«
    Sie ließ sich auf den Sitz zurückfallen, schlug die Felldecken um sich und wurde tief in die Pelze gepreßt, als der Kutscher mit lautem Schreien die Pferde antrieb. Wie ein Spuk rasten die Schlitten zunächst nach Petersburg zurück, eine Wolke von Schnee hinter sich aufwirbelnd.
    Vierunddreißig Schlitten waren es, und insgesamt zweiundvierzig Frauen hatten sich entschlossen, die Deportierten zu begleiten.
    Zweiundvierzig Frauen, die freiwillig nach Sibirien zogen, immer hinter ihren verurteilten Männern her – eine nie verlöschende Sonne aus Liebe, die Eis und Schnee, Frost und Einsamkeit, Hunger und Elend erträglich machen sollte.
    General Lukow, der von seinem Fenster aus die Kavalkade der

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