Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ninotschka, die Herrin der Taiga

Ninotschka, die Herrin der Taiga

Titel: Ninotschka, die Herrin der Taiga Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
»Warum schreien Sie mich an, Tugai? Von mir kommt dieses Urteil nicht.«
    »Aber Sie helfen, es durchzuführen.«
    »Wir alle dienen mehr oder minder dem Unrecht, denn nichts ist wirklich Recht auf dieser Welt. Was für den einen Hosianna bedeutet, ist für den anderen das Kreuz. Und das wird sich nie ändern.«
    »Sind wir hier, um zu streiten oder um zu heiraten?« fragte Vater Eftemian. »Wie wir auch zu allen Dingen stehen … wir sollten dem Zaren dankbar sein, daß er diese Hochzeit zuläßt.«
    »Diese Hochzeit ist ein Hohn!« Borja blickte sich um. Ninotschka war noch nicht gekommen, und plötzlich hatte er wahnsinnige Angst, daß die Erlaubnis zurückgezogen worden sei. »Was hat Ninotschka dem Zaren getan? Warum will er sie so jung zur Witwe machen? Ist es nicht genug, daß er uns in Sibirien langsam krepieren läßt?«
    »Die Bitte kam von Ninotschka Pawlowna selbst, nicht vom Zaren«, erklärte General Lukow. »Trotz aller Enttäuschung, die ihm seine Offiziere zugefügt haben … er hat die Heiratsgenehmigung erteilt. Hinter seiner Härte verbirgt der Zar eine weiche Seele. Er soll geweint haben, als die Urteile gefällt worden waren.«
    Tugai wollte etwas antworten, aber Schritte vor der Kirche ließen ihn verstummen. Die Tür sprang auf, und zuerst kam der Kutscher Miron Fedorowitsch herein, jetzt ein freier Mann und kein Leibeigener mehr. Er trug hohe Stiefel und einen neuen dunkelblauen Anzug, der in seiner bürgerlichen Eleganz gar nicht zu seinem struppigen Haar paßte.
    »Sie sind alle da, Hochwohlgeboren!« rief er mit seiner tiefen Stimme. »Man kann die Glocken läuten.«
    Vater Eftemian gab einem seiner Helfer einen Wink. Einsam, dünn und kläglich begann gleich darauf eine Glocke zu wimmern, die kleinste von vier Glocken, denn das volle Geläut war nur an Feiertagen und dem Geburtstag des Zaren erlaubt.
    In das armselige Läuten hinein begann Vater Eftemian zu singen, mit einer schönen, vollen Stimme, die den Kirchenraum mühelos ausfüllte.
    Borja preßte die Fäuste gegen sein Herz, sein Atem ging schwer vor Erregung. Plisky und Kolki traten hinter ihn, General Lukow stand ein wenig abseits, die Hände über den Degenknauf gelegt.
    Und dann kam Ninotschka. Sie trug das weiße Hochzeitskleid, das bis zu diesem Tage auf einer Schneiderpuppe gehangen hatte, darüber, lose um die Schultern gelegt, einen bodenlangen Mantel aus weißem Nerz. Katharina Ifanowna, die alte Amme, führte Ninotschka an der Hand. Die Schneiderin Praskowja Philipowna trug die Schleppe des weißen Kleides. Langsam kamen sie näher, begleitet vom Gesang Vater Eftemians.
    »Ein Engel«, flüsterte Plisky hinter Tugai. »Du heiratest einen Engel, Borja.«
    Tugai schluckte. Dann ging er Ninotschka entgegen. Sie blieb stehen, und in ihren großen Augen war so viel Glück, daß Borjas Herz einen Augenblick lang aussetzte.
    »Ich liebe dich, Borjuschka«, sagte sie leise und bot ihm ihren Arm. »Du siehst wundervoll aus in deiner neuen Uniform.«
    Borja atmete tief. »Es ist ein Theaterkostüm, weiter nichts, Ninotschka. In einer Stunde stecke ich wieder in meinen Sträflingskleidern.«
    Er nahm ihren Arm, stellte sich an ihre Seite und blickte hinüber zu der im Kerzenlicht aufleuchtenden goldenen Ikonastase. Die Heiligen darauf schienen plötzlich zu leben, ihre Augen sprachen, ihre zum Segen ausgestreckten Hände verteilten Gnade. Und Vater Eftemian stimmte das Hosianna an.
    »Was wir tun ist Wahnsinn, Ninotschka«, sagte Borja heiser. Langsam gingen sie weiter, dem Altar entgegen, General Lukow zog plötzlich seinen Degen und hob ihn hoch empor. Ninotschka und Borja schritten unter dem blitzenden Stahl hindurch.
    Wie gut, daß wir allein sind, dachte Lukow. Man würde mich sonst auslachen und einen Narren nennen, aber diese Liebe ist es wert, daß man sie ehrt.
    Mit hocherhobenem Degen folgte er dem Brautpaar. Niemand hörte, daß die Kirchentür noch einmal klappte und noch jemand eintrat. Der Fremde, in einen langen, dunklen Pelzmantel gehüllt, versteckte sich hinter einer Säule und sah der Trauung zu.
    Als Borja und Ninotschka vor dem Altar standen, hörte Vater Eftemian auf zu singen. Lukow senkte den Degen. Plisky und Kolki blieben im Hintergrund. Nur Lobkonow trat vor und verbeugte sich vor Ninotschka.
    »Ich habe in allen meinen Schriften dargelegt, daß es auf dieser Welt kein Glück gibt, sondern nur die Illusion von Glück. Aber jetzt widerrufe ich das. Sie anzusehen, Ninotschka Pawlowna, ist ein Glück. Sie

Weitere Kostenlose Bücher