Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
er das! Wenn dein Vater dich auf den Schultern trägt … dann ist er dein Held. Und als bei meinem Helden der Blick immer stumpfer und gebrochener wurde, als er nur noch ohne jeden Funken Mumm, wie ein verlorener, getretener Waschlappen hohl in die Welt blickte, da hab ich die Fäuste geballt und mit den Zähnen geknirscht und ihn dafür gehasst. Es hat ein paar Jährchen gebraucht, bis ich das alles kapiert habe. Wenn du in der Situation, in der meine Eltern waren, auch nur ein kleines Flämmchen Widerstandsgeist, oder überhaupt Selbstachtung in deinem Herzen am Leben hältst, bist du bald darauf ein toter Held. Sie brechen dir die Knochen, treten dich in den Staub, lassen dich als Kadaver für die Aasfresser zurück und schreiben dich als Arbeitskraft ab. Oder du fliehst, versuchst den Jägern zu entkommen, die dich zu Tode hetzen, damit dein Beispiel nicht unter deinesgleichen Schule macht.
Als ich das begriff, habe ich mir geschworen, ich verrecke nicht in Dreck und Ohnmacht. Hab‘ mich davongemacht und bin gelaufen, was das Zeug hielt, bis ich über die Grenzen in einer regulären idirischen Provinz war. Ich werde nie mehr so eine elende Ohnmacht erleben. Vielleicht geht der Weg durch Dreck und Scheiße, aber ich geh ihn, und ich bin es, der ihn wählt.
Also, wo kann unsereins schon Karriere machen außer im Kriegshandwerk. Aber da ich kein idirischer Bürger bin, hatte ich kaum Chancen in der offiziellen Armee. Also habe ich mich zu den Söldnern geschlagen. Es gibt Kompanien, die kluge Kontrakte eingehen und tatsächlich ziemlich gut verdienen. Das Haus Trevante gilt als eine davon. Aber das Angebot der Armee war für mich natürlich ein Hauptgewinn. Die Sechzehnte, da gibt es Chancen für Kerle wie uns. Aussicht auf etwas Respektables, wenn du hart genug bist. Auf echte Macht und dich nie mehr treten lassen.
Also“, er grinste Auric an, „du musst dir ganz bestimmt keine Vorwürfe machen.“
Kudai hatte währenddessen seine Stiefel wieder angezogen, saß da, die Arme auf seine Oberschenkel aufgestützt und sah Auric mit einem Mal mit entschlossenem, ernsten Blick an. „Wir kommen hier raus. Das weiß ich. Ich komme aus allem raus.“
Auric sah ihn etwas an einem Lederband aus seinem Brustpanzer hervorziehen und zwischen seinen Händen halten. Er erkannte ein eisernes Sonnenkreuz.
„Wir kommen hier raus“, wiederholte der kleine Kudai stur. „Inaim hält seine Hand über mich.
Ich habe mir geschworen, dass ich es zu etwas bringe. Ich bin bereit, Opfer dafür zu bringen. Wenn das hier eines davon ist – okay. Inaim ist bei mir. Ich habe ihn erwählt und er hat mich erwählt. Und er wird dafür sorgen, dass ich hier raus komme.“
Er ließ wieder sein Grinsen zu Auric hinüber blitzen.
„Wir schaffen das, und wir werden es zu etwas bringen. Du wirst dein Studium machen und ein berühmter Gelehrter werden, und ich werde Karriere beim Militär machen und General werden. Wir werden zu denen gehören, die Macht besitzen, nicht zu denen, die die Macht anderer erleiden.“
Auric fiel auf, dass der kleine Kudai gar nicht so klein war. Er war nur zwei Jahre jünger als er selber und damit älter als die meisten, die mit ihm im Norden in den Jungtrupps gekämpft hatten. Nur sein ständiges Grinsen gab ihm diesen jungenhaften Zug, der ihn jünger erscheinen ließ als er tatsächlich war. Dadurch erinnerte er Auric immer an einen der Frischlinge aus den Jungtrupps, die neuen, die gerade erst vollgestopft mit Heldensagas und Merkversen zum Schwertkampf losgeschickt wurden, um Krieg zu führen, Menschen abzuschlachten und damit die Sache der alten Säcke zu gewinnen.
Er sah die Gesichter von Veitarn und Suitbor vor sich, die er in die Attacke gegen die Vraigassen geführt hatte, die dann tot geprügelt oder halb geköpft wurden. Schnell verdrängte er die Geister.
Manchmal, so wie eben, wenn Kudai einmal nicht grinste, stahl sich ein tiefernster Zug auf sein Gesicht, der Zeugnis von dem ablegte, was er schon durchgemacht hatte und der ihn über die Zahl seiner Jahre hinaus plötzlich um einiges älter erscheinen ließ.
Wir kommen hier raus.
Er blickte sich um.
Mit sinkender Sonne wurde der Sichtkreis jetzt schnell, von Minute zu Minute, erschreckend klein, und jenseits des durch die gedämpften Stimmen geschaffenen flachen Runds der Vertrautheit erstreckte sich tiefe von wuchernder Masse gefüllte Dunkelheit. Darin waren kleine Stimmen, krächzende, pfeifende, fauchende. Dieser Wald lebte,
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