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Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Titel: Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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und die empfand er als abergläubisch und engstirnig.  
    Er hatte also auch nie klare Vorstellungen darüber entwickelt, was ihn im Danach erwartete.  
    In keinem seiner vagen Bilder und Spekulationen hatte jedoch Schmerz eine Rolle gespielt, Schmerz in einem solchen Ausmaß, dass er seine ganze Welt wie ein beinahe undurchdringlicher Nebel umfasste, durch den andere Vorstellungen nur schwer durchscheinen konnten. Noch weniger hatte er erwartet, dass eine dieser dumpfen sich nur schwer durch den Schmerz wühlenden Vorstellungen, das blutüberströmte Vraigassengesicht von Jag sein würde, nah bei ihm, fluchend und grollend auf ihn einredend.
    „Beweg dich, verdammt, du bist noch nicht tot! Du kannst es dir gar nicht leisten, hier zu krepieren. Du hast bestimmt noch mindestens eine letzte Klugscheißerei vor dir. Also, verdammt nochmal, komm hoch, bevor uns diese dreckigen Spitzohren in Stücke hacken.“
    Er wurde hochgezerrt. Er spürte vage, wie er auf die Beine kam. Wie seine Sinne sich langsam so weit klärten, das er eine verschwommene Vorstellung seiner Umgebung bekam. Dies konnte noch nicht das Danach sein. Die Überlebenden seines Trupps waren noch immer in höchster Gefahr. Der Bolzen steckte immer noch in seinem Hals. Er lebte immer noch auf geschenkter Zeit. Er war zwar in Dunkelheit und Vergessen abgesunken, aber er war daraus auch wieder aufgetaucht, wahrscheinlich ein letztes Mal.
    Er wusste nicht, wie lange er weggetreten war. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, es konnte aber nur für einen Augenblick gewesen sein.
    Ein Trupp von Kinphauren quoll ein Stück von ihnen entfernt die Treppe herauf und stürzte auf sie zu. Umanákhu hatte sich Kudai mit dem Tau, das seinen improvisierten hölzernen Brustschutz gehalten hatte, auf den Rücken gebunden. Der gab gedämpfte Schmerzenslaute und unzusammenhängendes Stammeln von sich, wie im Delirium. Ikun und Vortig hatten Czand zwischen sich genommen und sich jeweils einen ihrer Arme über die Schulter geschlungen. Sie hing schwer in ihrem Griff, musste von ihnen getragen werden; ob sie überhaupt noch bei Bewusstsein war, konnte er in diesem Moment nicht erkennen. Wer noch gehen konnte, stützte die anderen. Er selber wurde von Keiler Drei weiter geschleppt. Vortig spannte seinen Flachbogen und ließ den Bolzen sausen, legte neu auf und spannte sofort wieder. Schreie der Kinphauren hinter ihnen.
    Er nahm verschwommen vorbeisausende Treppenstufen unter sich wahr. Er wusste, dass er lief, sah seine Beine sich bewegen – er spürte sie kaum. Nichts als ein von Nebel umgebener Tunnel aus Bewegung, Rufen, Schreien, Laufen, hin und wieder aufblitzenden Gesichtern von Gefährten, einem Kern von Schmerz – seinem Kopf- und Schulterbereich –, der als ein wühlendes, sich ausbreitendes Glühen von einer fragmentarisch vorbeihuschenden Außenwelt immer mehr Besitz ergriff.
    Dann ein kalter Schnitt von Leere.
    Er stand schwankend am Rand einer Mauerbrüstung – die Leere war vor ihm. Sie war so immens, sie schnitt den dumpfen Wirbel der Flucht mit keinen Widerspruch duldender Entschiedenheit ab, rammte ihm mit ihrer gewaltigen Tiefe ihre unabweisbare Forderung nach Aufmerksamkeit geradewegs ins Gesicht. Am anderen Ende dieser Leere, an ihrem unendlich weit entfernten Grund sah er klein wie Dinge einer anderen Welt Bäume, Felsen, gestauchte Abhänge, dann ein in die Ferne verschwimmendes, verbleichendes Blätterdach, das sich zu einem weiten Tal aufspannte, das kein Ende kannte. Eine Welt hinter dem schwindelerregenden Schleier eines tiefen, langen Sturzes. Neben sich, als Anker noch zu dieser Welt, nahm er verschwommen am Rand des Blickfelds die Gestalten seiner Gefährten wahr, die ebenfalls mit ihm auf dem Mauerrand schwankten.
    „Und hier ist damals dieser Spitzohrenoffizier von der Festungsmauer gestürzt?“ Jags Stimme – ein kalter Hauch der Panik darin.
    „Man sagt, er wurde gestürzt.“ Ikun sagt das. Seine permanente Tünche der Ruhe und Beherrschtheit ist porös und löcherig.
    „Man sagt? Ich denke, er hat‘s überlebt? Wieso weiß man dann nicht, ob –?“
    „Halt den Mund und spring,“ – Ikuns Stimme, plötzlich gar nicht mehr beherrscht –, „die Festung kann jeden Moment in die –“
    Ein riesiger Hammer schlägt auf die Platte der Welt ein. Rechts von ihm spaltet Feuer die tiefe Leere. Eine Flammenzunge schießt schräg in den Himmel, von dort her wo die Bastion mit dem Magazin sein müsste. Etwas packt ihn und schleudert ihn

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