Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
Wie war das möglich? Steckten die Agenten der Kutte denn überall? War man vor ihren Maulwürfen nicht einmal in den eigenen Reihen sicher? Aber wenn sie von diesem Vorfall wussten, warum war er dann nicht längst vor einem Militärgericht gelandet?
Obwohl er glaubte, seine Mimik streng im Griff zu haben, schien dem aufmerksam durchdringenden, eine Spur amüsierten Blick des Vikar-Oberst doch nicht zu entgehen, was hinter seiner Stirn vorging.
„Nein, wir haben ihr Vorgehen nicht verurteilt. Wir haben zunächst gestutzt, mussten es Ihnen aber schließlich als besonnene Einschätzung der Situation anrechnen. Nicht zuletzt hat Ihnen das Ergebnis Recht gegeben. Der Vorfall hat die Stimmung im Volk zu unseren Gunsten gewendet und den Aufrührern ein gehöriges Quantum an Unterstützung entzogen. Aber ich will mich kurz fassen.“
Das unausweichliche Ende rückte also unerbittlich näher.
Er wollte studieren, und er wollte mit dem Kriegshandwerk aufhören.
Aber das Geld war dermaßen knapp.
Es war nicht knapp, es war vollkommen unzureichend. Wie weltfremd war er eigentlich? Das einzig Vernünftige, was er machen konnte, war zusätzliches Geld noch mitzunehmen, um dann einen wirklich realistischen Start zu haben. Nur das machte Sinn.
War es ihm dann denn wirklich Ernst mit dem Studium? War dieses Aufschieben realistisch? Sein Gefühl sagte ihm – eine Seite davon; war es die, der er vertraute? –, dass er, wenn es ihm tatsächlich Ernst wäre, so bald wie möglich aussteigen sollte. Dass es mit der Zeit und den sich häufenden und vertiefenden Erfahrungen, die er machte, immer schwerer würde, den Absprung zu schaffen, diesem verrückten, kranken Leben Auf Wiedersehen! zu sagen, in die Welt normaler Menschen zurückzukehren und etwas ganz anderes anzufangen: ein Leben des Lernens, der theoretischen Beschäftigung mit Dingen, die fernab war, vom äußerst praktischen Handwerk des Blutes und des Mordens, das vorher sein Leben bestimmt hatte. Es hatte ihn schon so weit verändert, dass er mit keiner Frau über längere Zeit zusammen sein konnte, die nicht die Erfahrungen des Schreckens mit ihm teilte und nicht von den gleichen –
„… bieten wir ihnen die Verlängerung ihres Kontrakts um weitere drei Jahre, sowie eine Beförderung in den Rang eines Majors zusammen mit der damit verbundenen nicht unerheblichen Erhöhung des Soldes an.“
Vikar-Oberst Silgenja sah ihn über seinen Schreibtisch hinweg an.
„Nun, was sagen Sie zu diesem Angebot, Morante?“
Was sagte er dazu? Er war zerrissen. Er wankte. Genau das war es, er war wankend in seinem Entschluss. Wenn er nicht jetzt …
„Ich sage dazu, dass ich ihrer Liste von Verdiensten nicht uneingeschränkt zustimmen kann.“ Was war da gerade aus seinem Mund gekommen?
„Wie meinen Sie das?“
„Wo Sie Verdienste sehen, sehe ich verschenkte Möglichkeiten.“ Gut, heraus damit! Sollte er doch Fakten schaffen. Sollte er doch Nägel mit Köpfen machen und sie sofort einhämmern! Damit es entschieden war. Damit er nicht nachher wieder …
„Mit Verlaub gesagt, die Taktik ihres Heeres ist veralteter Mist …“
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Seiner und der Blick des Oberst fuhren dorthin, doch bevor der etwas sagen konnte, öffnete jemand diese Tür, durch die auch Auric den Raum betreten hatte, und trat mit der Selbstverständlichkeit enger Vertrautheit ein, nickte dem Oberst, dann Auric zu, sich nicht stören zu lassen. Auric war verwirrt, aber er bemühte sich sofort wieder Tritt zu fassen. Es musste heraus, bevor er …
„Ich kann keine persönlichen Verdienste sehen, wo in der Gesamtheit nicht einmal ein Bruchteil dessen erzielt werden konnte, was einen Feldzug meiner Meinung nach erst zu einem Erfolg machen würde, nämlich, dass man das erreicht, was aufgrund des eigenen Potentials möglich ist. Und das gelingt nicht, weil man in überholten Routinen eingefroren ist.“
Auric sah, wie der soeben Eingetretene hinter Silgenjas Schreibtisch vorbeiging und diesem dabei freundschaftlich die Hand auf die Schulter legte. Der Blick des etwas gedrungenen, dunkelhäutigen Mannes blieb dabei beiläufig an Auric hängen, auch während er sich anschickte zu der anderen Tür des Raumes links vom Schreibtisch des Oberst und dem Erkerfenster weiterzugehen.
„Phalangen, feste Schlachtreihen, Vorrücken in einer starr aufgestellten Front, das habe ich in meiner Heimat als die übliche, seit Generationen überlieferte und durchgeführte Vorgehensweise
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