Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
fest. Er fühlte sich klar und gesammelt. Sein Magen knurrte, und sein Mund war ganz ausgetrocknet; er musste irgendwo Wasser finden.
Er tastete an seiner Seite, hob vorsichtig das Hemd und betrachtete seine Wunde. Sie war dabei, gut zusammenzuwachsen. Sie bildete einen zornigroten Wulst, aber Eiter war nirgends mehr zu entdecken.
Wie lange hatte er hier gelegen? Hatte das Fieber in seinem Körper getobt, und er hatte währenddessen gar nicht bemerkt, wie die Wunde in dieser Zeit bereits dabei war, sich zu schließen? Er erinnerte sich jetzt, irgendwann im grauen Land der Bewusstlosigkeit eine Stimme gehört zu haben, die er aus seiner Erinnerung kennen musste, und dann hatte er auf einer steilen Klippe eine Festung vor drohend verdunkeltem Himmel gesehen. Der Himmel war zerrissen, wie ein Keil aus Licht war ein Blitz daraus niedergezuckt und hatte die Festung zerschmettert.
Er streckte seine Schultern, streckte auch die Arme, breitete sie tief durchatmend aus, spreizte die Finger seiner Hände und drehte sich, um die Umgebung in Augenschein zu nehmen.
Nach dem Sonnenstand war es früher Morgen.
Zu seiner Linken sah er in einiger Entfernung eine Hügelkette und darüber sah er eine schroffe Klippe aufragen. Sie musste weit entfernt sein; sie verschwamm schon leicht im Dunst. Dennoch ragte sie über dunkel bewaldeten Hängen hoch empor, wie eine Stufe im Land, wie eine Wand aus hellem Grau vor dem Horizont. Wie Splitter ragten Spitzen darüber hinaus.
Als er die Augen mit der Hand beschattete und genauer hinschaute, sah er, dass diese Spitzen nicht eigentlicher Teil der Klippe waren, sondern dass sie die höchsten Türme eines Gebildes darstellten, das auf einem schroffen, vorgelagerten Kamm emporwuchs. Er konnte es nur als Gebilde benennen, denn es war für ihn auf den ersten Blick nicht erkennbar, ob das Ganze natürlichen Ursprungs, eine bizarre Gesteinsformation war, oder ein künstlich geschaffenes Bauwerk. Türme und Bastionen aus Stein thronten dort auf dem Felsenriff, in einem Bruch vor der Wand. Wenn sie von Menschen geschaffen waren, dann hatte Auric noch nie etwas gesehen, was an Derartiges erinnert hätte, das auch nur im Kleinen Anklänge daran aufwies. Die Türme waren zu hoch, zu schlank und zu spitz, die Mauern zu steil und bei aller Durchgestaltetheit der Proportionen zu zyklopisch. Das Ganze hatte etwas von einem immensen in den Himmel hochgezogenen Schiff mit Masten und Aufbauten. Nie hatte er etwas gesehen, was mit solch fremdartiger Konsequenz durchgeformt worden war.
Wie eine Erscheinung ragte das Gebilde dort in der Ferne empor.
Er erinnerte sich an etwas aus den Erzählungen seiner Mutter, ein Bild aus den Erzählungen der Zeitalter , das auf bemerkenswerte Weise mit dem, was er dort vor sich sah, übereinstimmte.
Es wurde dort von einer Festung der Ninre berichtet, die in die Klippen der Erde gebaut war, wie die vom Anprall einer starken Brandung spitz und scharf geschliffenen Nadeln einer Steilküste. Wieder musste er an die Vision der vom Blitz zerschmetterten Festung denken, die er in seiner Bewusstlosigkeit gehabt hatte.
Auric stand lange Zeit wie versunken da und konnte seinen Blick nicht von Anblick dort in der Ferne abwenden. Es war, als dringe das Bild tief in sein Inneres ein, als prägte es sich seiner Seele auf. Was hat das zu bedeuten? Was ist an diesem Anblick? Was ist das, was ich fühle, und was ist sein Zweck? So fragte er sich, während er auf die schroffe Erscheinung vor der sich von Horizont zu Horizont ziehenden Felsenwand blickte. Und wie eine Kulisse, wie ein atmosphärisch ergänzender Beiklang wurde das dahinter hoch aufragende Panorama der Drachenrücken auf den Platz des Zweitrangigen, bloß Rahmenden verwiesen.
Seine Wunde heilte. Diesmal endgültig.
Er wusste nicht, was mit ihm geschehen war, doch tief in seinem Inneren glaubte er, dass in diesem seltsamen Land der Grund dafür lag. Oder am unergründlichen Einfluss dieses wundersamen Gebildes in der Ferne, das ihm wie ein Anker all dieser Kräfte erschien.
Er fragte sich, wer dort wohnte und wie dieser Ort hieß.
Idirium, Ziel der Wünsche
Idirium hatte sich ihm im milden Licht des frühen Abends gezeigt.
Die Stadt war von der Schwelle sie umgebender Hügel aus gesehen ein Meer von weißem Mauerwerk und roten Ziegeln. Über dieser weit hingestreckten Ebene aus Mauern und Dächern, Kuppeln und Zinnen thronte weithin sichtbar in ihrer Mitte, dunkel und schwer, die steil ansteigende Höhe des
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