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Ninragon - Homunkulus

Ninragon - Homunkulus

Titel: Ninragon - Homunkulus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horus W. Odenthal
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den Häfen herausgeschafft haben. Wenn sie wissen, wo sie damit hinkönnen. Das ginge allerdings ohne große Probleme. Vielleicht gerade genau auf dem Weg, wo wir jetzt in diesem Moment reiten.«
    Sie grinste Choraik zu, doch der verzog nur das Gesicht.
    »Schließlich kann man keinen dichten Kordon um das gesamte Hafengebiet ziehen, durch den niemand hindurchschlüpfen kann.« Nach einer Pause: »Und wir haben so etwas erst gar nicht versucht.«
    »Er kann also theoretisch überall sein.«
    Sie zog die Augenbrauen hoch und hob die Hand, Handfläche nach oben.
    »Überall, wo man einen Homunkulus unterbringen kann.«
    Sie erhob sich kurz im Sattel und drehte sich um, warf einen letzten Blick auf den Weg, den sie gekommen waren und über die angrenzenden Häfen. Ja, überlegte sie, auf genau diesem Weg hätte diese Truppe, die für die Rebellen arbeitete, den Homunkulus aus den Häfen fortschaffen können. Auf einem abgedeckten Karren etwa. Oder in einem geschlossenen Wagen. Genauso, wie man auch den Homunkulus für das versuchte Attentat zum Gouverneurspalast geschafft hatte.
    Choraik war ihrem Blick gefolgt. Gemeinsam wandten sie sich wieder dem Weg zu, der vor ihnen lag.
    Zu ihrer Rechten erhob sich jetzt über die Dächer der Häuser hinweg der Galgenbug . Unmittelbar vor ihm ragten dunkle Umrisse schroff und gebrochen auf, riesenhaft. Steile, mächtige Mauersplitter, Turmtrümmer, wie geborstene Pfähle einer versprengten Bollwerksanlage. Sie hoben sich wie Schattenrisse gegen die hellere Klippe des Galgenbugs ab. Schwärme von Vögeln stiegen von den geborstenen Schalen einer älteren Welt auf. Sie sammelten sich hier in den Gemäuern wahrscheinlich vor ihrem Zug in den Süden.
    Sie hatte diese Ruinen früher am Tag von weitem gesehen, als sie auf dem Dach des Gardenhauses Ost-Rhun gesessen und über die Stadt hinausgeblickt hatte.
    Jetzt von Nahem konnten einem diese wuchtigen Steinzacken ganz gehörig Ehrfurcht einflößen. Vor ihren dunkel aufragenden Riesengestalten, deren himmelsreckendste Spitzen an Höhe mit dem Galgenbug wetteiferten. Und vor den Erbauern dieser Trümmer, die längst in den bodenlosen Abgrund der Vergangenheit gestürzt waren. Die Alte Welt, sagte man, wenn man über diese Zeit sprach. Oder die alten Reiche. Aber die meisten redeten gar nicht mehr über diese Zeit. Nicht in den Kreisen, in denen Danak verkehrte. Nicht mehr, seit mit dem Einfall der Kinphaurenarmee Rhun nicht länger eine der bedeutendsten Provinzhauptstädte des Idirischen Reiches war und Gelehrte mit Studenten aus aller Welt durch die Flure ihrer Universität schritten. Es wurde überhaupt nicht mehr so viel über Geschichte und Glanz und Prunk und was weiß ich und über alte Zeit gesprochen. Die Menschen hatten heute andere Sorgen.
    Wollte man den Höhenzug von Derndtwall und Firnhöhe umgehen, musste man durch diese Ruinen hindurch.
    »Rhun ist nicht nur groß, sondern auch alt«, sagte Choraik an ihrer Seite.
    »Damals hieß die Stadt noch anders.«
    »Tryskenon, so sagt man. Und auch damals haben Ihr Volk und mein Volk um diese Stadt gekämpft.«
    »Ist das so?«
    »Lesen Sie die alten Geschichten.«
    »War das tatsächlich Ihr Volk und mein Volk? Gehen uns diese alten Geschichten noch irgendetwas an? Wie kann so was«, – sie deutete auf den Weg nach vorn und die Umrisse der titanischen Ruinen –, »noch irgendetwas mit uns zu tun haben?«
    Choraik kniff die Augen zusammen und sah sie mit eindringlichem Blick von der Seite her an.
    »Wir alle wurzeln in der Vergangenheit«, sagte er schließlich. »Ich bin heute ein Kinphaure, aber ich bin unter Menschen aufgewachsen. Die Vergangenheit zu vergessen, hieße, auf keinem festen Grund zu stehen.«
    »Choraik«, sprach sie seinen Namen aus und nahm sich dann erst einmal Zeit für eine Pause, »langweilen Sie mich doch nicht mit so was. Ich dachte, Sie wären etwas ganz Besonderes mit Ihrer Menschenvergangenheit und der Kinphaurentinte im Gesicht. Und jetzt kommen Sie mir mit so einem banalen Zeug. So was spuckt jeder aus, dem Sie ein paar Sautinen für etwas Hinterhofphilosophie vor die Füße werfen. Ja ja, ohne Vergangenheit kann man nicht leben. Geschenkt. Aber ohne Gegenwart existiert man überhaupt nicht. Geben Sie mir ein Hier und Jetzt und keine alten Geschichten.«
    »Alte Geschichten, sagen Sie?« Choraik lachte. »Alte Geschichten haben die Welt geformt. Als Kinphaure kann man das nicht vergessen. Und die Welt holt sie überall ein. Selbst in dieser Stadt.

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